Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
als ihm der Leibdiener seines Großvaters den Weg versperrte.
»Sie dürfen nicht eintreten.«
»Ich muss ihn sehen. Es ist dringend.«
»Ihr Großvater ist beschäftigt.«
»Das bin ich auch. Lassen Sie mich gefälligst durch. Sofort!«
Der Leibdiener spielte sich auf. »Ausgeschlossen. Machen Sie einen Termin aus oder reichen Sie Ihre Anfrage schriftlich ein. Ich habe strenge Anweisung …«
Stavros ignorierte den Mann und versuchte sich seitlich an ihm vorbeizuschlängeln. Er hatte die Hand schon auf den Türknauf gelegt, als er eine Pranke auf seiner Schulter spürte.
»Machen Sie doch keinen Unsinn«, sagte der Diener. »Ich habe eine Ausbildung als Leibwächter. Ich könnte Sie problemlos …«
Stavros drehte sich blitzschnell um und rammte dem Diener seine Faust ins Gesicht. Ein hässliches Knacken war zu hören, dann verdrehte der Mann die Augen und fiel um. Ein Blutstropfen rann aus seiner Nase. Ohne ihn weiter zu beachten, riss Stavros die Tür auf und stürmte ins Arbeitszimmer seines Großvaters.
Der Alte saß hinter dem Schreibtisch, ein Glas dampfenden Tee in der Hand, und las die Zeitung. Das Einzige, was nicht ins Bild passte, war, dass der Patriarch unten herum offenbar unbekleidet war. Stavros sah zwei bleiche Beine, schwarze Kniestrümpfe und Sockenhalter. Die Hose lag sorgfältig gefaltet auf einem Stuhl neben ihm.
Für einen Moment sah der alte Mann ziemlich verdutzt aus, dann verfinsterte sich sein Blick. »Was erlaubst du dir, hier einfach so unangemeldet hereinzuplatzen!«
»Ich muss mit dir sprechen. Sofort!«
»Wo ist David?«
»Dein Leibwächter macht gerade ein kleines Nickerchen.« Stavros zog die Tür hinter sich zu.
»Nickerchen? Was soll das heißen?«
»Er ruht sich etwas aus. Ich musste sichergehen, dass wir ungestört reden können.«
Im Gesicht des Alten mischten sich Zorn und Furcht. Offenbar hatte er seinem Enkel eine solche Energie nicht zugetraut. »Was willst du?«
»Wusstest du, dass Papastratos gestorben ist?«
»Wer ist Papastratos?«
»Tu nicht so scheinheilig!«, fuhr ihn Stavros an. »Du weißt genau, von wem ich spreche. Dr. Christos Papastratos, Dekan der Fakultät für Marinetechnik am Polytechnikum. Er war ein guter Freund von Alexander Livanos und einer der wenigen, die ihm bis zu seinem Tod die Treue gehalten haben. Ich mochte ihn. Ich habe mich kurz vor seinem Tod mit ihm getroffen. Da war er noch bei bester Gesundheit.«
Der Alte griff nach seiner Hose und zog sie an.
»Woran ist er denn gestorben, dein feiner Herr Dekan?«
»Die genaue Todesursache ist noch unklar. Sein Herz hat einfach aufgehört zu schlagen.«
Der Alte zuckte die Schultern. »Tragisch. Wir werden halt alle nicht jünger und es war sehr heiß die letzten Wochen …«
Stavros presste die Lippen aufeinander. »Und was ist das hier?« Er warf seinem Großvater die Zeitung zu. Landesweite Suche nach dem großen Unbekannten, stand in der Überschrift zu lesen. Mysteriöser Attentäter und Polizistenmörder entkommen.
In den Augen des Patriarchen flammte einen Moment lang so etwas wie Furcht auf. »Was soll damit sein?«
»Ich habe Nachricht von Humboldt aus Paris erhalten. Er hat mir erzählt, er sei nur knapp einem Anschlag entkommen. Seine Beschreibung des Täters deckt sich überraschend genau mit der des großen Unbekannten im Figaro. Erst Papastratos, dann Humboldt – ich kann nicht glauben, dass das ein Zufall ist.«
Immer noch schwieg der Alte.
»Wusstest du von dem Anschlag in Paris?«
Archytas lehnte sich zurück. Eine Weile war er still, dann sagte er: »Natürlich.«
»Ich will wissen, was da vor sich geht.«
Der Alte seufzte. »Eigentlich wollten dein Vater und ich dich nicht in diese Geschichte hineinziehen. Wir wollten diese Sache für uns behalten.«
»Dafür ist es jetzt zu spät. Wir stecken alle mit drin und zwar Hals über Kopf. Die Familie ist das Wichtigste, waren das nicht deine Worte? Jetzt werden wir ja sehen, ob du es damit wirklich ernst meinst.«
Archytas’ Augen funkelten, doch dann beruhigte er sich wieder. »Na schön. Sehen wir es als Prüfung. Mal sehen, ob du mit der Wahrheit umgehen kannst. Der Mann in diesem Zeitungsartikel ist ein Assassine, ein ausgebildeter Attentäter. Ich habe ihn engagiert, damit er dafür sorgt, dass Humboldt seine Nase nicht zu tief in Sachen steckt, die ihn nichts angehen.«
»Wie bitte?« Stavros glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. »Heißt das, du willst ihn umbringen lassen?«
»Wenn er stirbt,
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