Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
es, dass die anderen davon nichts spürten? Gut, bei den hartgesottenen Seeleuten wunderte ihn das nicht, sie waren Wellen und Seegang gewöhnt, aber Charlotte? Er hatte keine Ahnung, was sie gerade machte, aber vermutlich saß sie mit Océanne unter Deck und tüftelte gemeinsam mit ihr an dem Linguaphon herum. Die beiden Mädchen hatten sich zum Ziel gesetzt, Wilma das Sprechen beizubringen. Eine verrückte Idee. Der Vogel verfügte zwar über eine erstaunliche Menge an Lauten, aber ob sich die zu einer Art Sprache zusammensetzen ließen, war doch sehr fraglich. Humboldt jedenfalls war daran bislang gescheitert.
Was Oskar jedoch viel mehr beschäftigte, war die Frage, warum die beiden jungen Frauen so einträchtig zusammenarbeiteten. Er war davon ausgegangen, die beiden seien wie Hund und Katz, doch da hatte er sich wohl getäuscht. Freundschaft und Einvernehmen, wohin man nur blickte. Aber vielleicht war das alles nur gespielt. Eine Art Scheinfrieden, der sofort beendet war, sobald sie wieder an Land waren. Oskar wurde nicht schlau aus den Frauen.
Wieder kippte das Schiff nach vorne. Ein neuer Anflug von Übelkeit stieg in ihm hoch. Die Hand vor den Mund haltend, rannte er zur Reling. Er hatte sie noch nicht ganz erreicht, als auch schon ein Schwall Magensäure auf dem Deck landete. Hustend und jammernd rang er nach Luft.
Hinter ihm erklang ein dreckiges Lachen. »C’est un sale boulot que tu fais. « Oskar drehte sich um. Drei Seeleute standen dort und blickten ihn an.
»Vous avez toujours besoin de vomir?«
Oskar wischte mit dem Handrücken über seinen Mund. »Tut mir leid.« Er deutete auf seine Ohren. »Ich kann Sie nicht verstehen.«
Wieder lachten die drei. Der Anführer, ein unrasierter Kerl mit Armen dick wie Oberschenkel, deutete auf die Planken. »Essuie-le!«
Oskar zuckte die Schultern und lächelte entschuldigend.
»Ich nix verstehen.«
Der Ausdruck des Mannes wurde ernst. »T’es un vieux con. Essuie-le!« Er versetzte ihm einen Stoß, der ihn zu Boden beförderte.
Erschrocken über die plötzliche Wendung, blickte Oskar empor. »Was wollen Sie?«
Mit einer ungeduldigen Geste deutete der Mann auf die Planken und machte eine Geste, als würde er putzen. Oskar runzelte die Stirn. »Ich soll das wegwischen? Aber der nächste Brecher spült das doch sowieso über Bord.«
Der Mann richtete sich drohend über ihm auf. Sein Aussehen und sein Benehmen erinnerten Oskar irgendwie an Behringer.
»Na gut, wenn ihr unbedingt wollt. Dann hole ich eben einen Lappen und einen Eimer.«
Er schickte sich an aufzustehen, doch der Bullige ließ ihn nicht. »Non, pas de seau«, sagte er. »Prends tes mains! Tu veux que je te casse la figure?« Höhnisches Gelächter.
»Er will, dass du deine Hände benutzt.« Ein weiterer Matrose war zu ihnen herübergeschlendert. Der Mann war sehnig und dünn. Sein Gesicht war wettergegerbt. Man sah ihm an, dass er schon seit vielen Jahren zur See fuhr.
»Ich soll was?«
»Es mit den Händen wegmachen, sonst will er dir ein paar aufs Maul geben.« Der Mann sprach mit einem starken französischen Akzent.
Oskar blickte in die Runde. Die vier Kerle sahen nicht aus, als würden sie scherzen. Er presste die Lippen zusammen. Warum nur musste er immer an solche Gestalten geraten?
»Na gut, wenn’s euch Spaß macht.«
Er wollte gerade die eklige Brühe einsammeln, als der Neuankömmling sagte: »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«
»Habe ich denn eine Wahl?«
Der Mann richtete ein paar Worte an den Anführer, doch der schüttelte nur den Kopf. »Non, il doit le nettoyer.«
Die Stimme des Dünnen wurde schärfer. »Laissez-le partir. «
»Ou bien?«
»Vous le regretterez.«
Oskar blickte verwundert zwischen den beiden Männern hin und her. Er verstand zwar kein Wort, aber es schien, als wäre ein Streit entbrannt. Offenbar war der Dünne auf seiner Seite. Die Stimmung war merklich aufgeheizt. Als der Bullige den Dünnen mit seiner Pranke zur Seite stoßen wollte, ergriff dieser den ausgestreckten Arm, packte das Genick seines Widersachers und drückte ihn nach vorne. Mit einem Stöhnen krachte der Aufrührer auf die Planken, wo er mit dem Gesicht nach unten liegen blieb. Es war so schnell gegangen, dass die anderen keine Chance hatten einzugreifen. Der Dünne drückte dem anderen das Knie ins Genick und bog dessen Arm nach hinten. Dann flüsterte er ihm etwas ins Ohr. Der Anführer nickte. Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. »Laissez-le partir, laissez-le
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