Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
partir«, keuchte er mit hochrotem Kopf. Daraufhin nickten seine Kumpanen und verschwanden.
»Laissez le jeune«, zischte der Schlanke dem am Boden liegenden Seemann ins Ohr. »D’accord?«
Der Bullige nickte. »D’accord.« Oskars Helfer nahm das Knie vom Nacken seines Opfers und ließ ihn aufstehen. Der Matrose strich über seinen hochroten Hals, dann trabte er wie ein geprügelter Hund davon.
Der Matrose stand auf und klopfte den Staub von seiner Hose. »Sie werden dich nicht mehr behelligen«, sagte er. »Und wenn doch, komm einfach zu mir. Mein Name ist Clement. Clement Rasteau. Ich bin zweiter Maschinist auf diesem Schiff.« Er streckte seine Hand aus. Oskar ergriff den schwarzen Handschuh und ließ sich aufhelfen.
»Oskar Wegener. Danke für Ihre Hilfe.«
»Nicht der Rede wert.«
»Was ist mit Ihrer Hand?«
»Das? Nur eine alte Verbrennung, von meiner Zeit als Heizer. Nicht der Rede wert.« Clement deutete in Richtung der verschwundenen Matrosen. »Du solltest nicht alleine herumspazieren. Das kann auf einem solchen Schiff unangenehme Folgen haben.«
»Verdammter Sauhaufen!«, schimpfte Oskar. »Mit solchen Leuten habe ich daheim in Berlin schon genug Ärger gehabt. Dachte nicht, dass mich das bis auf dieses Schiff verfolgen würde.«
»Du darfst ihnen das nicht übel nehmen«, sagte Clement. »Die Matrosen auf diesem Schiff sind ein verwegener Haufen. Sie müssen ab und zu mal Dampf ablassen. Dein Pech, dass du Deutscher bist, sie können Deutsche nicht ausstehen.«
»Wieso das?«
»Ach, die alte Geschichte. Der Siebziger Krieg. Viele von ihnen haben ihn noch erlebt. Bei manchen sind sogar Verluste in der Familie zu beklagen.«
»Aber das ist doch schon über zwanzig Jahre her.«
»Trotzdem, solche Wunden verheilen nie.«
»Wie kommt es, dass Sie so gut Deutsch sprechen?«
Clement lächelte. »Ich habe lange Zeit in Colmar im Elsass gelebt. Ich bin praktisch zweisprachig aufgewachsen. Es hat mich aber schon immer an die See gezogen, also hab ich meine Sachen gepackt und bin nach Le Havre gewechselt. Mittlerweile habe ich schon fast die ganze Welt gesehen. Aber genug geplaudert, dein Herr wünscht dich zu sehen.«
»Herr Humboldt?«
»Ganz recht.«
»Hat er gesagt, was er will?«
Clement schüttelte den Kopf. »Nur, dass er Neuigkeiten für dich hätte. Komm, wir haben schon viel zu viel Zeit verplempert. Folge mir, ich bringe dich zu ihm.«
24
Humboldt erwartete Oskar im Kartenraum. Die Regale entlang der Wände waren gespickt mit Land- und Seekarten, Atlanten, Seeprofilen, Konstruktionsplänen und Risszeichnungen jeder Form und Größe. Durch die Bullaugen konnte man das schäumende Meer sehen.
Clement lieferte Oskar bei dem Forscher ab, klopfte dem Jungen zum Abschied auf die Schulter und ging dann wieder. Oskar blickte seinem neuen Freund hinterher. Er überlegte kurz, ob er dem Forscher von dem Erlebnis auf Deck berichten sollte, entschied sich aber dagegen. Andere zu verpfeifen war nicht sein Stil, mochte es auch noch so berechtigt sein.
»Schön, dass du da bist.« Humboldt warf ihm ein aufmunterndes Lächeln zu. »Was macht die Seekrankheit?«
»Geht schon wieder.«
»Nur nicht den Kopf hängen lassen. Wir kommen schon wieder in ruhigere Gewässer. Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren, dass Hippolyte und ich die Nautilus morgen zu einem ersten Tauchgang herunterlassen wollen.«
»Morgen schon? Das ist ja großartig.«
Humboldt nickte. »Die Bathysphäre ist zwar schon ausgiebig getestet worden, aber noch nie auf hoher See. Es ist sozusagen ihre Jungfernfahrt.«
»Sind wir denn schon am Zielort?«
»Fast. Komm rüber, dann zeige ich es dir.« Humboldt winkte den Jungen zu dem länglichen Tisch in der Mitte des Raumes. Dort lag eine große Seekarte ausgebreitet, die an den Rändern mit Klammern befestigt war. Humboldt tippte auf das Papier. »Wie du weißt, haben wir gestern Malta passiert und durchqueren jetzt das Ionische Meer.« Er zog eine schnurgerade Linie mit seinem Finger. »Aufgrund des hohen Seegangs kommen wir nicht so schnell voran wie geplant, aber das macht nichts. Morgen um diese Zeit müssten wir das Ionische Meer verlassen haben und die Meerenge von Kythira durchqueren. Der Kapitän hat uns mitgeteilt, dass die See danach ruhiger wird. Dann werden wir zu einem ersten Tauchgang aufbrechen, und zwar genau hier.« Er deutete auf eine kleine Insel im Westen.
»Antikythira«, las Oskar.
»Ganz recht«, erwiderte der Forscher. »Schon
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