Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
die er gekommen war.
Charlotte nahm Wilma hoch und streichelte ihr über den Kopf. »Scheint, als hätten wir keine Wahl. Vielleicht ist es das Beste, erst mal zu tun, was er sagt. Abgesehen davon, bin ich wirklich gespannt zu erfahren, wer dieser Sikander ist und was er beabsichtigt, ihr nicht?« Sie tauschte einen kurzen Blick mit Eliza, dann straffte sie ihre Schultern und verließ die Calypso.
38
Der Norweger hatte die Begegnung aus sicherer Distanz verfolgt. Unter die Mannschaft gemischt, stand er da und beobachtete, wie das Mädchen seinen Vogel auf den Arm nahm und das Schiff verließ. Er nickte anerkennend. Eines musste man diesen Deutschen lassen, sie hatten Schneid.
Diese mechanischen Kreaturen mit ihren Messern, ihren Zangen und Sägen – was waren das für Ausgeburten der Hölle? Wer hatte sie erbaut und welchem Zweck dienten sie? Und vor allem, was wollte man von ihnen?
Bis auf drei Matrosen hatten alle das Schiff verlassen. Der Norweger zögerte, dann verließ er als Letzter den schützenden Bauch der Calypso.
Das Licht der Deckenlampen war so grell, dass er für einen Moment die Augen schloss. Als er sie wieder öffnete, fand er sich umringt von klickenden und ratternden Automaten, die ihn und seine Mitgefangenen eine Rampe emportrieben. Dort oben empfing sie ein Wald aus Schmelzöfen, Kränen, Walzwerken, Schmieden und Metallstanzen. Eine ungeheure Anlage zur Verarbeitung und Weiterverwertung von Metallteilen. Lärm und Gestank schlugen ihnen entgegen. Hier ging es schlimmer zu als in den Fabrikationshallen von Le Havre.
Kaum oben angekommen, wurde er Zeuge, wie Hunderte von Automaten aus dem Werk kamen und auf die Calypso zuströmten. Es dauerte nicht lange, da war das Schiff regelrecht umzingelt. An allen Ecken und Enden wurde genagt, gefräst und gebohrt. Schrauben und Ruder wurden entfernt und Metallplatten geschnitten. Schon klafften einzelne Löcher im Eisenrumpf. Die Metallteile wurden abtransportiert und verschwanden in Windeseile in den Tiefen der mechanischen Stadt.
Das ehemals so prächtige Schiff sah aus wie ein gestrandeter Wal, auf dem Dutzende von aasfressenden Kreaturen herumkrochen. Schon bald würde von ihm nicht mehr als ein trauriges Gerippe übrig sein.
Immer höher ging es auf die Rampe. Der Gefangenentransport steuerte auf den riesigen Roboter zu, der die Calypso durch die Nacht geschleppt hatte. Der mechanische Mann stand bewegungslos am Ende einer langen Treppenflucht. Das Licht in seinem Auge war verloschen. Er schien zu schlafen. Mächtige Kabel, die in gewaltige Transformatorblöcke mündeten, ragten aus seinen Schultern und ließen ihn wie eine überdimensionierte Marionette aussehen. Vermutlich hatte der Koloss bei der Schleppaktion all seine Energie verbraucht und musste nun wieder aufgeladen werden.
Im hellen Licht der Scheinwerfer wirkte er noch riesenhafter. Allein sein Kopf maß mehrere Meter in der Höhe. Sein Unterkiefer erinnerte an die Schaufel eines Dampfbaggers und seine rostbedeckte Panzerung schimmerte, als wäre sie von rotem Schimmel überzogen.
Die Treppe führte zu einem bestimmten Abschnitt seiner Brust, der wie eine Klappe oder Luke aussah.
Der Gesandte trat an die Brust heran und betätigte einige Schalter und Knöpfe.
Zischend öffnete sich eine Luke. Ein zwei Meter großes Stück der Brustverkleidung klappte auf und überbrückte den Abgrund. Heraus traten vier Menschen. Einer nach dem anderen überquerten sie die Brücke und kamen ihnen entgegen.
Der Norweger brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, wen er da sah.
Gleißendes Licht strömte ins Innere ihres stählernen Gefängnisses. Die Tür war aufgegangen. Oskar beschirmte seine Augen und trat ins Freie. Vor ihm lag eine Treppe, die hinab in eine Werkhalle führte. Mit steifen Schritten trat er auf die Rampe hinaus. Er zwinkerte ein paarmal und sah sich um. Plötzlich hörte er einen Freudenschrei. Ein Mädchen mit blonden Haaren rannte auf ihn zu, schlang ihre Arme um ihn und stieß ihn beinahe um.
»Oskar!«
»Charlotte?«
»Gott sei Dank, ihr lebt. Wir haben schon mit dem Schlimmsten gerechnet.« Sie drückte ihr Gesicht an seinen Hals.
»Na, na.« Oskar konnte spüren, wie sie zitterte. Auf einen solchen Überschwang an Gefühlen war er nicht vorbereitet gewesen. »Hast du uns wirklich so schnell aufgegeben? Du weißt doch: Unkraut vergeht nicht.«
Charlotte ließ ein schluchzendes Lachen hören, dann entließ sie ihn aus ihrer Umarmung. Ihre Wangen
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