Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
werden wir ohnehin bald herausgeholt. Wir bekommen Besuch.«
Charlotte spähte durch das Bullauge. Von jenseits der Halle näherte sich eine Gruppe seltsamer Gestalten. Keine Menschen, so viel war sicher. Aber was war es dann?
Als die Gruppe bis auf wenige Meter an das Schiff herangekommen war, erkannte Charlotte, dass es Automaten waren. Mechanische Kunstgebilde, die nur entfernte Ähnlichkeit mit Menschen oder Tieren aufwiesen. Manche besaßen keine Augen, andere keinen Mund, wieder andere hatten nicht einmal ein Gesicht. Charlotte sah Automaten, die auf zwei Beinen liefen oder auf vier, wieder andere besaßen überhaupt keine Beine. Da gab es rollende, kreiselnde und kugelnde Apparate, Maschinen mit zwei, drei oder vier Armen und solche, die nur aus Werkzeugen und Sägeblättern zu bestehen schienen. Ihnen allen gemeinsam war ein rotes Licht, das frontal auf ihrer Brust saß und wie ein Stück Kohle von innen heraus glühte.
Eine Gruppe von ihnen näherte sich der Backbordseite der Calypso und fing an, mit Schneidewerkzeugen durch das Metall zu fräsen. Ein ohrenbetäubendes Kreischen ertönte, als die rotierenden Sägeblätter durch die Schiffshülle der Calypso schnitten. Sie drangen durch das Metall, als wäre es aus Butter. Funken sprühten. Der Boden erzitterte. Dann durchbrach das erste Sägeblatt die zentimeterdicke Stahlhülle. Der Lärm war infernalisch.
Charlotte und die anderen wichen in den hintersten Teil des Raumes zurück, die Hände auf die Ohren gepresst.
Nur wenige Minuten später hatten die Roboter eine mannshohe, rechteckige Eisenplatte aus dem Rumpf gelöst, die sorgfältig abtransportiert wurde. Ein Schwall frischer, nach Salz und Algen riechender Meeresluft drang ins Innere des Schiffes. Die Arbeitsdrohnen zogen sich zurück und setzten ihr Werk an anderer Stelle fort. Eine seltsame Erscheinung betrat den Raum. Von all den Wundern, die hier unten auf sie warteten, war dies vielleicht das größte.
Es war ein Mensch.
Mit seinem schwarzen Lederumhang, seinen Handschuhen und den Lederstiefeln bot er eine beeindruckende Erscheinung. Auf seiner Nase saß eine Schweißerbrille, die so stark verspiegelt war, dass man seine Augen nicht sehen konnte. Sein Gesicht war nicht nur außerordentlich bleich, sondern hatte etwas Wächsernes, ja beinahe Durchscheinendes an sich. Sein Kopf war kahl, sah man mal von einem Kabel ab, das aus einem seiner Ohren kam. Mit steifen mechanischen Bewegungen durchschritt er die Öffnung und betrat das Innere der Calypso. Stumm und aufmerksam musterte er die Überlebenden durch seine silbrige Brille.
Der Kerl war Charlotte auf Anhieb unsympathisch. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm, das spürte sie sofort. Als er zu sprechen begann, tat er das mit einer Stimme, die klang, als würde Dampf aus einem Ventil entweichen.
»Mein Name ist Cagliostro«, sagte er. »Ihr seid widerrechtlich ins Reich Sikanders eingedrungen. Ich fordere euch auf, alle Waffen abzulegen, Ruhe zu bewahren und mir zu folgen. Ihr werdet euch geordnet in Zweierreihen aufstellen und euch von mir zu euren Quartieren bringen lassen. Folgt meinen Anweisungen, so wird euch nichts geschehen.«
Eines der Besatzungsmitglieder, ein riesiger Kerl von zwei Metern Größe, trat einen Schritt vor und hob den Kopf. »Mein Name ist Serge Buton. Ich bin Heizer. Ich verlange zu wissen, wo wir hier sind und was Sie von uns wollen.«
Der Fremde versteifte sich. Charlotte glaubte, ein knirschendes Geräusch in seinem Inneren zu vernehmen. Es klang, als würde jemand Nussschalen zertreten. »Es steht Ihnen nicht zu, Fragen zu stellen. Zu gegebener Zeit werden Sie alles Notwendige erfahren. Bis dahin haben Sie zu schweigen und mir zu folgen.«
»Keinen Meter werden wir gehen«, erwiderte Buton. »Nicht, ehe Sie uns gesagt haben, was hier vorgeht, warum Sie unser Schiff angegriffen und uns in Ihre Gewalt gebracht haben!« Er hob seine Fäuste zum Angriff.
Mit einer blitzartigen Bewegung packte der Gesandte die Hand des Heizers und zwang ihn in die Knie. Charlotte meinte, so etwas wie ein schmales Lächeln auf seinen wächsernen Lippen zu sehen. »Wollen Sie mich auf die Probe stellen?«
»Nein, ich …«
»Jeder Versuch, zu fliehen oder Gewalt anzuwenden, ist zum Scheitern verurteilt und wird mit dem sofortigen Tod bestraft. Ich wiederhole es nur noch ein Mal: Folgen Sie mir und hören Sie auf, Fragen zu stellen! Widerstand ist zwecklos.«
Mit diesen Worten kehrte er um und verschwand durch die Öffnung, durch
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