Chroniken der Weltensucher 03 - Der gläserne Fluch
jeder Minute blasser wurden. Die Episode am Silvesterabend schien sie besonders zu erschrecken. Max musste sich noch einmal Wein nachschenken. Als Humboldt von ihrer Besteigung des Bergs, dem Fund im Tempel und den anschließenden Ereignissen bei den Missionaren erzählte, war es vollends um seine Beherrschung geschehen. Er rang mit seiner Fassung. »Du meine Güte«, stammelte er. »Und ich Idiot wäre um ein Haar in diesen verfluchten Tempel gegangen. Haben Sie davon gewusst, Wilson?«
Der Meteoritenjäger schob sein Kinn vor. »Natürlich nicht. Wie hätte ich? Ich bin genauso schockiert wie Sie.«
Oskar zog seine Brauen zusammen. Er spürte, wenn jemand log, und dieser Wilson log, dass sich die Balken bogen. Sein Adjutant, Jonathan Archer, war auch nicht besser. Oskar hätte schwören können, dass die beiden bei der Geschichte mit der Maus und den Missionaren sogar leise gelächelt hatten.
Er musste seinem Vater zustimmen. Diese Männer waren gefährlich. Sehr sogar.
Max musste auf den Schrecken noch ein Glas Wein trinken. Es war jetzt schon das dritte oder vierte und er schwankte bereits leicht von einer Seite zur anderen. »Um ein Haar wäre ich von diesem Scheißding gefressen worden«, lallte er. »Himmel, und ich dachte, es wäre nur ein einfacher Meteorit.«
»Es war niemals nur ein einfacher Meteorit.« Wilson blähte seinen Brustkorb auf. »Mir war von Anfang an klar, dass es sich um einen Stein mit außergewöhnlichen Fähigkeiten handelt. Die Erzählungen über ihn sind beinahe so geheimnisvoll wie die Legende vom Heiligen Gral. Ich wusste allerdings nicht, wie sich seine besonderen Eigenschaften manifestieren würden.«
»Und deshalb wollten Sie mich da reinschicken, damit ich für Sie das Versuchskaninchen spiele, was?« Auf Max’ Lippen bildeten sich kleine Speichelbläschen. »Sie wollten zusehen, was passiert, habe ich recht?«
»Unsinn!«, polterte Wilson, doch Oskar fand, dass es zu übertrieben wirkte. »Ich wollte Ihnen eine Freude machen, das ist alles. Abgesehen davon: Ein bisschen Risikobereitschaft gehört schon dazu, wenn man von der Königin einen Auftrag bekommt. Wer keine Hitze verträgt, gehört nicht in die Küche.«
»Sie sind ein skrupelloser Mann, Sir Wilson.«
»Ich glaube, Sie haben etwas viel getrunken.« Wilson stand auf und klopfte Max auf die Schulter. »Ich würde Ihnen vorschlagen, Sie gehen jetzt rüber zu den Schlafstätten und schlafen Ihren Rausch aus. Danach geht es Ihnen bestimmt besser. Wir anderen werden in der Zwischenzeit zum Tempel hinübergehen.«
Max schüttelte Wilsons Pranke ab. »Hören Sie auf, mich wie ein kleines Kind zu behandeln. Ich will mitkommen. Ich will wissen, was mich da um ein Haar gefressen hätte.«
»Nicht gefressen«, sagte Humboldt. »Assimiliert. Du hattest ein Riesenglück, dass du nicht in den Tempel gegangen bist.«
»Könnte es sein, dass Sie ein wenig übertreiben, Herr Humboldt?«, sagte Wilson. »Sie tun ja fast so, als handle es sich um ein Lebewesen. Ich weiß ja auch, dass der Stein besondere Fähigkeiten besitzt, aber das geht doch wohl ein bisschen zu weit.«
»Glauben Sie?« Humboldts Lächeln erinnerte Oskar an ein frisch geschärftes Rasiermesser. Wilson fiel in kurzes Schweigen, dann gab er ein schnaubendes Geräusch von sich. »Na schön, Pepper. Wenn Sie unbedingt wollen, schauen wir uns den Meteoriten eben gemeinsam an. Aber dass Sie mir keinen Unsinn anstellen.«
Als die Gruppe Richtung Tempel aufbrach, gesellte sich ihnen ein weiterer Mann hinzu. Ein rotschöpfiger Ire mit fröhlichen Augen und einer offenen, herzlichen Ausstrahlung. Er stellte sich als Patrick O’Neill vor und schüttelte ihnen allen die Hand. Oskar fand, dass er recht nett wirkte. Sympathischer jedenfalls als der Rest der Bande.
»Sagen Sie mir eins, Sir Wilson«, sagte Humboldt. »Wir kommen gerade aus der Stadt der Dogon. Dort gibt es zahlreiche Tote und Verletzte. Können Sie mir erklären, was dort vorgefallen ist?«
»Ach das.« Wilson nahm sein Silberauge aus dem Schädel und begann, es mit einem Stofftuch zu polieren. »Diese Hottentotten wollten uns nicht durchlassen. Da haben wir uns den Weg eben freigeschossen.« Er setzte die Kugel zurück an ihren Platz. »Ich glaube, mittlerweile haben sie eingesehen, dass es ein Fehler war, sich uns in den Weg zu stellen.«
»Es war ihr Stammesgebiet, durch das Sie marschiert sind.«
»Papperlapapp, Stammesgebiet. Afrika ist ein einziges Stammesgebiet. Wenn es danach ginge, dürfte
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