Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
ein Frühstück im Garten. Wärst du so gut, alles vorzubereiten?« Der Diener verbeugte sich und entschwand durch die Tür. »Bitte nehmen Sie doch Platz«, sagte Poortvliet. »Bis zum Frühstück haben wir noch Zeit, über einige Dinge zu sprechen.«
Charlotte bewunderte die ausgestellten Kunstgegenstände. Ein riesengroßer Gong aus gehämmertem Metall, einige Sandsteinreliefs, auf denen Tempelzeremonien dargestellt wurden, sowie ein paar dünne Papierfiguren an Stäben, bei denen es sich nur um Puppen für ein Schattenspieltheater handeln konnte. Am meisten aber faszinierte sie eine mächtige Steinfigur, die eine Kreuzung zwischen einem Löwen und einem Drachen darstellte. Das Tier war etwa so groß wie sie selbst und besaß zwei mächtige Schwingen, die angriffslustig in die Luft ragten.
»Schön, nicht wahr?« Poortvliet strich mit der Hand über den rauen Sandstein. »Sie stammt aus dem Borobodurtempel nahe der Menoreh-Berge. Eine gewaltige Anlage. Vermutlich der größte buddhistische Tempel Südostasiens. Wenn Sie Zeit haben, sollten Sie ihn sich unbedingt mal ansehen.«
»Ist es weit bis dorthin?«, fragte Charlotte.
»Wie man’s nimmt. Auf dem Rücken eines Elefanten ist es eine lange Reise. Mit einem Luftschiff hingegen …« Er ließ den Satz unvollendet.
In diesem Moment kam Marten wieder zurück. In der einen Hand balancierte er ein Tablett mit Gläsern und Tassen, in der anderen hielt er zwei Karaffen. Eine mit Wasser und eine mit Saft. Hinter ihm folgten zwei einheimische Frauen. Sie waren hübsch und augenscheinlich sehr schüchtern. Beide trugen seidene Blusen und schmal geschnittene Röcke, die mit prächtigen Stickereien versehen waren. Barfuß und mit kleinen Schritten kamen sie näher. Ihre Haare waren mit Holzstäbchen nach oben gesteckt und an ihren Ohren klimperten goldene Ringe. Jede von ihnen trug quer über ihren Schultern eine Bambusstange, an der je zwei Schalen mit Getränken, Obst und anderen Leckereien baumelten. Wie geschickt sie sich bewegten, konnte man daran erkennen, dass sie nicht den kleinsten Tropfen verschütteten. Im Nu hatten sie den Tisch gedeckt. Dann falteten sie die Hände, verbeugten sich und entfernten sich rasch wieder.
»Wunderschön«, sagte Eliza, als die beiden verschwunden waren. »Habt ihr gesehen, wie anmutig sie sich bewegen?«
»Ja, die Frauen Javas sind etwas ganz Besonderes«, erwiderte Poortvliet versonnen. Ihm war anzusehen, dass ihn der Anblick genauso erfreute wie seine Gäste. »Sie sollten einmal den Tanz der Tempeltänzerinnen erleben. Etwas Vergleichbares werden Sie nirgendwo auf der Welt erleben. Aber bitte, bedienen Sie sich. Das war’s erst mal, Marten. Vielen Dank.«
Der Diener verneigte sich und verließ das Arbeitszimmer.
»Solange Sie sich einschenken, möchte ich die Gelegenheit nutzen und Ihnen eine kurze Zusammenfassung unserer Probleme geben«, sagte Poortvliet. »Java ist in erster Linie eine landwirtschaftlich genutzte Insel. Ein Land von Ackerbauern und Viehzüchtern, wenn Sie so wollen. Der Boden ist fruchtbar und die Sonne und der viele Regen lassen die Pflanzen förmlich explodieren. Kein Wunder, dass wir einer der weltgrößten Exporteure für Kaffee und Kakao sind. Doch seit jüngerer Zeit liegt ein Schatten über diesem kleinen Paradies.« Er schenkte sich einen Kaffee ein und rührte um. »Vor ungefähr zwölf Jahren fing es an«, fuhr er fort. »Es war kurz nach der furchtbaren Explosion des Krakatau. Die Bewohner berichteten über nächtliche Überfälle, über die Vernichtung ihrer Ernten und die Verschleppung von Familienangehörigen. Zunächst schenkte ich dem keine Beachtung. Die Menschen dieses Landes sind zutiefst abergläubisch und nutzen jede Gelegenheit, sich vor der Arbeit zu drücken. Doch als die Vorfälle zunahmen, schickte ich Soldaten, die der Sache auf den Grund gehen sollten. Sie kehrten unverrichteter Dinge wieder heim, erzählten jedoch, dass auch in anderen Regionen der Insel solche Dinge vorgefallen sein sollen. Die Berichte ähnelten sich. Immer nachts, besonders zu Neumond, sollten unheimliche Kreaturen auftauchen und Menschen entführen. Sie würden dabei alles andere als methodisch vorgehen. Mal nähmen sie Kinder, dann wieder Frauen oder Alte. Sie würden keine Lebensmittel stehlen, aber Feuer legen und Scheunen und Lagerhäuser in Brand stecken.
König Bhamban der Dritte, der Herrscher der Insel, hat eine besondere Methode entwickelt, um mit dem Problem umzugehen. Er hat eine Lotterie
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