Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
diesem Nebel verloren geht. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Professor, hätte ich Sie gerne an meiner Seite. Sagen Sie sofort, wenn Ihnen irgendetwas seltsam vorkommt. Besonders natürlich im Hinblick auf die Steinernen.« Der Geologe nickte. Sein Ausdruck wirkte verschlossen. Oskar war sich sicher, dass man dem Gelehrten nicht trauen durfte.
Sie marschierten in östlicher Richtung davon.
Die Stille war bedrückend. Abgesehen vom Knirschen ihrer Stiefel war kein Laut zu hören. Weder das allgegenwärtige Zirpen der Grillen noch das Rufen der Vögel, von denen es hier auf Java mehr als genug gab. Alles, was Arme, Beine oder Flügel hatte, schien diesen Graben zu meiden.
Die Stimmung war angespannt. Hin und wieder wies Lilienkron auf geologische Besonderheiten hin, doch er tat es flüsternd. Als ob er fürchtete, die Steine könnten ihn belauschen. Wabernde Schatten tauchten aus dem Nebel auf, doch sie entpuppten sich beim Näherkommen als mannshohe Felsbrocken. Humboldt schlug mit dem Schaft seiner Armbrust dagegen. Nur Felsen, nichts weiter.
Oskars Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Irgendetwas war hier unten, das spürte er mit jeder Faser seines Körpers. Wie konnten seine Freunde nur so ruhig bleiben. Er war an einem Punkt angelangt, an dem er die Stille nicht länger ertrug. Wie lange waren sie jetzt schon hier unten? Zehn Minuten oder eine halbe Stunde? Es war, als befände man sich in einem Honigglas, in dem die Zeit langsamer verstrich. Gerade als er fragen wollte, wann sie denn endlich wieder nach oben durften, hielt Humboldt an. Er beugte sich vor und hob einen schwarzen Stein auf, der vor ihm auf dem Boden lag. Er nahm seine Brille ab und musterte das Objekt aus kurzer Entfernung.
»Was ist los?«, fragte Lilienkron. »Haben Sie etwas gefunden? Lassen Sie mich mal sehen.« Wortlos gab Humboldt den Brocken weiter. Der Geologe nickte. »Ich wusste, dass ich mich nicht geirrt habe. Sehen Sie die Markierungen? Das ist der Beweis.« Er reichte den Stein weiter. Auf der Oberseite des Steins war ein markanter Abdruck zu sehen. Eine reptilienartige Struktur, genau wie bei dem Fundstück von Poortvliet.
Während die anderen den Stein inspizierten, war Humboldt ein paar Meter weitergegangen. Auf einmal ertönte sein Ruf.
»Kommt mal alle her, schnell!« Er deutete nach unten.
Das Loch maß ungefähr drei Meter im Durchmesser und war einige Meter tief. Es war wie ein Trichter geformt und gelblicher Dampf quoll aus der Öffnung am Boden. Rund um den Trichter lagen Unmengen von schwarzen Steinen.
Humboldt trat an den Rand und spähte hinunter. »Ist zu dunkel da unten. Ich muss näher ran«, sagte er. »Am besten wir bilden eine Kette. Lilienkron, halten Sie mich mal am Gürtel fest.«
Eliza sah ihn erschrocken an. »Was hast du vor?«
»Ich will einen kurzen Blick nach unten werfen. Keine Angst. Ich werde nichts Riskantes unternehmen.«
Nichts Riskantes, dachte Oskar. Und was war das dann, was er gerade tat? Jeden Moment rechnete er damit, dass etwas aus dem Loch hervorschoss und ihn in die Tiefe zog.
Doch für Grübeleien blieb keine Zeit. Sein Vater war schon auf dem Weg nach unten. Oskar packte Lilienkrons Gürtel, Lena den seinen und immer so weiter.
Vorsichtig ließ sich Humboldt in den Trichter hinab. Oskar spürte das Gewicht in den Armen. Auf einmal ertönte ein Ruf: »Zieht mich wieder hoch!«
Es gab ein Ächzen und ein Schnaufen, dann erschien Humboldt in der Öffnung. Aus den Trichterwänden löste sich Geröll.
»Haben Sie etwas gesehen?«, fragte Lilienkron. »Was konnten Sie erkennen?«
In Humboldts Gesicht lag ein Ausdruck von Respekt. »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Professor. Ich habe grundlos an Ihrer Darstellung gezweifelt. Da unten ist tatsächlich ein Eingang. Ich habe Treppenstufen gesehen. Uralte Treppenstufen. Sie führen steil bergab.«
Der Beobachter hatte genug gesehen. Die Fremden waren ihm fast zu nah gekommen. Noch wenige Schritte näher und sie hätten ihn bemerkt. Höchste Zeit, dass er dem Herrscher Bericht erstattete. Diese Sache war auch jetzt schon beunruhigend genug. Eine unbestimmbare Aura ging von diesen Menschen aus, eine Erschütterung der Umgebung. Als würde die Welt selbst den Atem anhalten. Der Beobachter konnte nicht anders als seinem Herren Respekt zollen. Was er gesehen, was er gespürt hatte, ging weit über alles hinaus, was er selbst je erfahren hatte. Jetzt war er sicher, dass die Dinge in Bewegung geraten waren. Dass es kein
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