Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
»Kann es sein, dass wir hier eine faule Stelle im Apfel haben?«
»Es gibt noch ein anderes Problem«, schaltete sich ein vierter Bruder ein und nahm ebenfalls seine Maske ab. Oskar war das Gesicht nicht vertraut, doch Charlotte schien ihn zu kennen.
»Das ist Ferdinand von Kronstedt, der Polizeipräsident«, flüsterte sie. »Ebenfalls ein hohes Tier.« Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht zu glauben. Hier sind all die engsten Berater des Kaisers versammelt. Der Apfel hat mehr als nur eine faule Stelle, wie mir scheint.«
»Bei der Räumung des Platzes wurde eine Entdeckung gemacht«, fuhr der Polizeipräsident fort. »Es wurde eine Pistole gefunden, bei der es sich um den Prototyp einer mehrschüssigen Handfeuerwaffe der Marke Mauser handelt. Ohne dir nahe treten zu wollen, Hocherleuchteter Meister, aber wie kann es sein, dass deine Waffe in den Besitz der Gendarmerie gelangt ist?«
»Ich habe sie verloren«, antwortete Humboldt. »Sie kam mir abhanden, als ich fluchtartig den Platz verlassen musste. Als ich den Verlust bemerkte, war es schon zu spät. Die berittenen Einheiten hatten den gesamten Platz abgeriegelt.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiÃ, das ist ein Rückschlag, doch er wird nichts an unserer Haltung und Gesinnung ändern.«
»Ein Rückschlag?« Von Kronstedt stieà ein spöttisches Lachen aus. »Das ist kein Rückschlag, das ist eine Katastrophe. Wie könnt ihr nur dasitzen und behaupten, nichts habe sich geändert? Diese Waffe besitzt zwar keine Nummerierung, aber sie ist einzigartig. Es gibt Fertigungspapiere, Lieferscheine und Zeugenaussagen.«
»Für jemanden in deiner Position dürfte es doch ein Leichtes sein, die Ermittlungen im Sand verlaufen zu lassen, lieber Polizeipräsident.«
»So einfach ist das nicht«, sagte von Kronstedt. »Kommissar Obendorfer ist mit der Leitung dieses Falls betraut und er ist einer der wenigen, über die ich keine Kontrolle habe. Er ist wie ein Trüffelschwein, und wenn er sich an eine Fährte geheftet hat, hört er erst auf, bis er sein Ziel erreicht hat. Es dürfte nicht allzu schwierig werden, die Spur zu verfolgen. Nicht bei einer Pistole wie dieser. Ihr Dilettantismus wird uns noch alle den Kopf kosten, verehrter Meister .«
Wie er das sagte, klang es wie eine Beleidigung.
Erschrockenes Schweigen erfüllte den Saal.
»Wie redest du denn mit dem Hocherleuchteten Meister?« Nathaniel Strecker blickte den Polizeipräsidenten von der Seite an.
»Ich rede, wie es mir passt«, konterte von Kronstedt. »Ich genieÃe Redefreiheit in diesem Zirkel. Wir alle genieÃen Redefreiheit, schon vergessen?«
»Trotzdem. Es gilt, gewisse Höflichkeitsregeln einzuhalten. Beleidigungen wie eben können zu einem Ausschluss aus dieser Loge führen.«
»Ich habe niemanden beleidigt. Und wenn schon. Dieses Treffen belegt nur, was ich auch schon vorher wusste: Die Loge hat versagt und unser Plan, die Führung des Reiches an uns zu reiÃen, ist gescheitert. Ich sehe keinen Sinn mehr darin, nach irgendwelchen Schuldigen zu suchen. Selbst wenn wir ihn fänden, welchen Nutzen hätten wir davon?«
»Hast du etwas zu verbergen?«, fragte Strecker mit scheinheiligem Lächeln. »Ist das der Grund, warum du so schnell alles hinwerfen willst?«
»Gewiss nicht«, entgegnete von Kronstedt. »Eher, weil ich mit dir und deinem schwachköpfigen Sohn nichts mehr zu tun haben will. Für mich warâs das jedenfalls. Ich trete aus dieser Loge aus, und jeder, der noch ein wenig Verstand beisammenhat, sollte das ebenfalls tun!«
Auf einmal redeten alle durcheinander. Manche standen auf und es entstand ein tumultartiges Handgemenge. Empörte Rufe und erboste Schreie ertönten. Jeden Moment drohten Fäuste zu fliegen.
Ãber all das erhob sich auf einmal ein tiefes, kehliges Lachen. Es war viel lauter, als man es von einem normalen Lachen her gewohnt war, und es veranlasste die Streithähne, nach und nach voneinander abzulassen. Verblüfft blickten sich die ehrenwerten Mitglieder der Loge nach der Quelle des Geräusches um. Sie brauchten nicht lange zu suchen.
Der Hocherleuchtete Meister war aufgestanden und hatte seine Maske abgenommen.
Ein erschrockenes Einatmen war zu hören. Einer der Brüder gab ein Stöhnen von sich. Alle wichen sie ein Stück von der Erscheinung zurück. Das
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