Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
vorziehen, darüber noch keine Auskünfte zu erteilen. Das Projekt befindet sich in einer sehr frühen Phase. Theoretisch ist eine Zeitreise meiner Meinung nach möglich, aber ob sie jemals auch praktisch durchführbar sein wird, ist fraglich. AuÃerdem â¦Â«, Humboldt rutschte etwas unbehaglich auf seinem Stuhl herum, »â¦Â sind meine Experimente nicht ungefährlich.«
»Aber dann sollten Sie mir erst recht davon erzählen. Es ist meine Aufgabe, über alle Gefahren informiert zu sein.«
Der Forscher schwieg.
Stangelmeier sah ihn eine ganze Weile mit seinen scharfen Augen an, dann setzte er seine Brille auf, öffnete eine Schublade und holte einen prall gefüllten Aktenordner hervor. Gedankenverloren blätterte er in den Unterlagen herum. »Ich habe Erkundigungen über Sie eingezogen, Herr von Humboldt. Ihre Vergangenheit, Ihre Expeditionen, Ihre Aufträge. Ihre Reise nach Peru, die Tauchexpedition im Mittelmeer, Ihre Untersuchungen im Fall Bellheim sowie Ihre Fahrt nach Indonesien, an der Seite von Professor Lilienkron. Ich weià von Ihren Gesprächen mit Direktor Sprengler sowie Ihrem Antrag, Frauen zur Immatrikulation zuzulassen. Einige Ihrer Ideen, besonders zur Kolonialpolitik unseres Kaiserreiches und zu den Aufgaben der Wissenschaftler an unseren Universitäten, sind, mit Verlaub, ebenfalls recht gefährlich â um nicht zu sagen subversiv. Natürlich ist die Auflistung nicht ganz lückenlos, aber ich glaube, wir wissen ziemlich gut über Sie Bescheid. Besser vermutlich als jeder andere in Ihrem Umfeld. Sie sind ein offenes Buch für mich.« Er sah den Forscher über den Rand seiner Brille hinweg an. Oskar bemerkte, wie sich auf Humboldts Stirn eine scharfe Falte bildete.
»Haben Sie dazu nichts zu sagen, Herr von Humboldt?«
»Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Stangelmeier, aber gehen Sie mit Ihren Ermittlungen nicht ein bisschen zu weit? Als freier Wissenschaftler muss ich Geheimnisse haben dürfen.«
»Geheimnisse?« Wieder dieses krächzende Lachen. »Aber die gehören doch genau in mein Ressort. Ich bin immerhin Chef des Geheimdienstes. Wir leben in extremen Zeiten, Herr von Humboldt, das wissen Sie selbst. Extreme Zeiten erfordern extreme Mittel. Der Tod des Kaisers hat uns einen schweren Schlag versetzt. Wilhelm war nicht nur ein guter Freund, er war auch ein umsichtiger und kluger Monarch. Manche hielten ihn für zu schwach, aber diejenigen, die das sagen, kannten ihn nicht gut genug. Im Gegensatz zu den Machthabern vieler anderer Staaten hatte er eine verletzliche und menschliche Seite â vielleicht als Folge seiner Gebrechen.«
Oskar beobachtete Stangelmeier. Trotz seines Alters besaà der Mann einen messerscharfen Verstand. Er schien den Kaiser wirklich gemocht zu haben. Oder tat er nur so? Wollte er sie vielleicht nur glauben machen, dass er um seinen Herrscher trauerte? Und was hatte das alles mit Humboldts Erfindung zu tun?
»Wer nie gelernt hat, Niederlagen einzustecken, der wird sich irgendwann überschätzen«, sagte Stangelmeier mit fester Stimme. »Er wird überheblich und kalt. In Wilhelms Brust schlug ein menschliches Herz. Er liebte sein Volk und suchte seine Nähe. Vielleicht war das der Grund, warum er sterben musste.« Er schlug eine Seite im hinteren Teil des Ordners auf. »Wie ich schon sagte, Herr von Humboldt, Sie sind ein offenes Buch für uns. Mein Wissen um Ihre Forschung sollte Sie nicht beunruhigen. Ihre Geheimnisse sind bei mir gut aufgehoben. Beunruhigen sollte Sie der Gedanke, dass ich die Möglichkeit besitze, Ihr Labor jederzeit zu beschlagnahmen. Sie sagten ja selbst, dass es gefährlich ist, was Sie da tun. Ich könnte mir vorstellen, dass einige der Substanzen, mit denen Sie arbeiten, unter das Waffen- und Sprengstoffgesetz fallen. Würde mich nicht wundern, wenn sich dort Materialien befinden, die in Deutschland verboten sind und deren Besitz ausreicht, Sie für mehrere Jahre hinter Gitter zu bringen. Ich fände es also begrüÃenswert, wenn Sie mit mir zusammenarbeiten würden.«
Oskar war schockiert. Stangelmeier war ganz sicher kein ältlicher Oberlehrer, der seinen Lebensabend in seiner kleinen Studierstube mit Erinnerungen an die gute alte Zeit verbrachte. Hier saà der Chef des Geheimdienstes, der wusste, wo er den Hebel anzusetzen hatte.
Eine Weile starrten sich die Männer an, dann wurden
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