Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
schicken lieÃ, wurde mir klar, dass diese Möglichkeit durchaus in Betracht zu ziehen war. Sie sind kein Mann, der mit billigen Tricks arbeitet. Ihre Abenteuer, Ihre Erfolge und Ihre Referenzen sprechen eine deutliche Sprache. Wenn einer es schaffen kann, eine solche Maschine zu konstruieren, dann sind Sie es. Und hier sind wir nun.«
Alle blickten auf Humboldt. Der Forscher schüttelte erst langsam, dann immer heftiger den Kopf. »Nein«, sagte er. »Das geht nicht.«
»Warum �«
»Unter keinen Umständen dürfen Veränderungen an der Vergangenheit vorgenommen werden. Das ist mehr als nur gefährlich, es ist ⦠Wahnsinn.«
»Ich bitte um eine Erklärung.«
»Man merkt, dass Sie das Wesen der Zeit nicht verstehen.« Humboldt stand auf und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen. Das tat er immer, wenn er nachdenken musste.
»Für Sie ist die Geschichte ein linearer Strang, der sich wie eine Schnur, vom Anbeginn der Zeit bis zu ihrem Ende, fortsetzt, ist es nicht so? In Ihrer Vorstellung folgt ein Ereignis auf das nächste und immer so weiter.«
»Entspricht das denn nicht den Tatsachen?«
»Nein. Das, was wir als Geschichte bezeichnen, ist eine lose Folge von mehr oder weniger zufälligen Abläufen, die so oder auch anders hätten passieren können. Manchmal genügt eine winzige Veränderung, um den Dingen eine andere Richtung zu geben. Ein Beispiel: Wäre Wilhelm nicht bei seiner Geburt durch Einsatz einer Geburtszange verkrüppelt worden, dann wäre aus ihm vielleicht ein egozentrischer und herrischer Eroberer geworden, der die Welt mit Krieg überzogen hätte. Der bloÃe Zufall, dass er bei seiner Geburt verkehrt herum lag, hat dazu geführt, dass er der Mann geworden ist, den wir kennen. Ereignisse prägen einen Menschen. Und zwar mehr, als wir ahnen.« Er atmete tief durch. »Die Gefahren einer Zeitreise bestehen darin, dass wir nicht in der Lage sind abzuschätzen, welche Ereignisse welche Auswirkungen auf den Verlauf der Geschichte haben. Unsere bloÃe Anwesenheit könnte ein solches Ereignis sein. Stellen Sie sich vor, sie reisen zurück in die römische Zeit und verraten den Menschen das Geheimnis des SchieÃpulvers. Können Sie sich vorstellen, wie das den Verlauf der Menschheitsgeschichte ändern würde? Oder stellen Sie sich vor, Sie reisen in die Zukunft und erfahren, wie man Menschen binnen eines Wimpernschlages von einem Ort zum anderen transportieren könnte. Sie müssten schon mit einer auÃerordentlichen Charakterstärke gesegnet sein, wollten Sie nicht bei Ihrer Rückkehr aus dieser Erkenntnis Kapital schlagen. Sehen Sie, Technologie trägt keine Moral in sich â sie ist nur ein Werkzeug. Was wir damit machen, obliegt allein unserer Verantwortung.«
»Ja, aber â¦Â«
»Ein letztes Beispiel: Sie reisen zurück in der Zeit und treffen auf Ihr eigenes Ich. Schockiert von dieser Begegnung, läuft Ihr jüngeres Ich auf die StraÃe und wird von einer Kutsche überfahren. All die Dinge, die Sie getan hätten, wären sie älter geworden, werden nun nicht mehr getan. Es entstünde eine Kausalkette, die bis zu dem Zeitpunkt reicht, an dem Sie das Zeitschiff besteigen. Sie löschen praktisch Ihre eigene Existenz aus. Ein Paradoxon, das einen unwiederbringlichen Schaden im Raum-Zeit-Kontinuum nach sich ziehen könnte.« Humboldt strich über seine schweiÃnasse Stirn. »Sehen Sie, Herr Stangelmeier, ich bin kein gläubiger Mensch, aber ich glaube trotzdem, dass den Dingen eine natürliche Ordnung innewohnt. Alles ist im Fluss, ein ständiges Wachsen und Gedeihen. Wie ein Baum, aus dem immer neue Zweige und Verästelungen hervorgehen. Wer sind wir, dass wir an dieser natürlichen Ordnung etwas ändern wollen?«
»Und wenn diese Veränderung etwas Gutes bewirkt?«
»Ja, aber können wir denn jemals wirklich sicher sein, dass sie etwas Gutes bewirkt? Wir sind nur Menschen. Klein und fehlbar. Wir sind doch schon kaum in der Lage, die Probleme des täglichen Lebens zu lösen, geschweige denn die geschichtlichen Ereignisse zu manipulieren. Das Gerüst der Zeit ist etwas, an dem man nicht leichtfertig herumpfuschen darf. Zieht man eine Karte aus dem Kartenhaus, könnte das ganze Gebäude zusammenbrechen. Mit möglicherweise fatalen Folgen.« Humboldt stützte sich auf seinen Gehstock. »Sie
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