Chronos
Joyce zu. »Aber Ben sagt, dass jeder, der in die Vergangenheit reist, das Risiko eingeht, seinen Platz zu verlieren, den er verlassen hat. Ben selbst zum Beispiel. Wenn die Dinge anders ablaufen, könnte er zur Waise werden. Er will vielleicht nach Hause zurückkehren und stellt fest, dass sein Zuhause gar nicht mehr da ist, jedenfalls nicht so, wie er es in Erinnerung hat. Es ist nicht wahrscheinlich, aber es ist möglich.«
»Demnach kann man über die Zukunft nichts wissen.«
»Ich denke, die Zukunft ist so etwas wie ein hohes Gebäude im Nebel – man weiß, dass es da ist, und man kann sich herantasten, aber man kann sich seiner Existenz nicht sicher sein, bis man nahe genug herangekommen ist, um es zu berühren.«
»Damit stehen wir also im Dunkeln«, stellte Tom fest.
»Der Ort, wo du stehst, ist immer die Gegenwart, und das ist alles, was du wirklich hast. Ich glaube nicht, dass das eine so schlechte Sache ist. Ben sagt, der einzige Weg, um die Vergangenheit zu besitzen, besteht darin, sie zu achten ... indem man sie nicht in etwas Kurioses oder Lächerliches oder Pastellfarbenes oder Bittersüßes verwandelt. Sie ist ein realer Ort, an dem reale Menschen leben. Und die Zukunft ist real, weil wir sie aus realen Stunden und realen Tagen zusammenfügen.«
Sie ist keine Welt neben der Welt, dachte Tom.
Kein Eden und kein Utopia, sondern nur das, was du berühren kannst, und die Berührung selbst.
Er ergriff ihre Hand. Sie blickte über die Kiefern und über die Stadt hinweg zum Meer. »Ich kann nicht hierbleiben«, sagte sie. »Ich muss zurückkehren.«
»Ich weiß nicht, ob ich mit dir gehen kann.«
»Ich weiß nicht, ob ich möchte, dass du das tust.«
Sie stand auf. Sie ist wunderschön, mit dem Licht der Nachmittagssonne auf den Haaren, dachte Tom.
»Hey«, sagte sie. »Sieh mich nicht so an. Ich bin es nur. Ein verrücktes Huhn aus Minneapolis. Nichts Besonderes.«
Er schüttelte den Kopf und blieb stumm.
»Ich war ein Gespenst für dich«, sagte sie. »Das Gespenst einer Idee davon, wie das Leben war oder wie es sein könnte. Aber das bin ich nicht. Doch das ist schon okay. Vielleicht warst auch du ein Gespenst. Ein Gespenst von etwas, das ich in der Stadt zu finden hoffte. Jemand Geheimnisvolles, Weises, vielleicht auch Wildes. Nun, die Umstände sind sehr seltsam. Aber da sind wir nun, Joyce und Tom, zwei ziemlich durchschnittliche Menschen.«
»Überhaupt nicht so durchschnittlich.«
»Wir kennen uns kaum.«
»Das kann sich ändern.«
»Ich weiß nicht«, sagte Joyce. »Ich bin mir nicht sicher.«
Diese letzten Stunden – ehe der Eindringling angriff oder die Zeitmaschine repariert war, was immer zuerst eintrat – waren eine Art Altweibersommer.
Archer fuhr zum Burger King am Highway und holte etwas zum Abendessen. Sie picknickten auf dem Rasen im späten Sonnenschein. Der Alarm würde ertönen, sagte Ben, falls irgendetwas im Haus passierte.
Ben, der kein zubereitetes Essen zu sich nahm, war eine onkelhafte Erscheinung am Rand des Festes. Er humpelte des Öfteren hinüber zum Holzzaun, wo er einen rechteckigen Streifen Land mit einer Schnur abgesteckt hatte. Es war schon zu spät im Jahr, um noch einen Garten anzulegen, sagte er, aber dort sei die Stelle, wo einer sein müsste. Tom überlegte, fragte aber nicht nach, ob er die Absicht hatte, im kommenden Jahr damit anzufangen, oder ob er das von jemand anderem erwartete.
Nach Einbruch der Dunkelheit ging Archer mit Tom hinunter in den Keller – jedenfalls in das, was vom Keller noch übrig war. Die Wand vor dem Tunnel war vollständig entfernt worden, ebenso eine der Fundamentmauern. Zum Vorschein gekommen war etwas, das aussah wie eine komplizierte Maschinerie, weißliche und bläuliche Kristalle, auf denen es von kybernetischen Helfern wimmelte. Das war das Herz dieser Zeitreisestation, und die Maschineninsekten, so nahm er an, reparierten es gerade. Immer wieder stieben Funken hoch.
»Wir veranstalten ein Wettrennen«, sagte Archer. »Je länger dieser Hurensohn sich in Manhattan nicht rührt, desto eher gelingt es uns, ihn total auszusperren.«
»Wie lange dauert es noch, bis alles fertig ist?«
»Bald, sagt Ben. Vielleicht morgen um diese Zeit. Da ...« Er öffnete eine Schublade unter der Werkbank. Es war Toms Werkbank, die er aus Seattle mitgenommen hatte. »Ben sagte, Sie sollten eine von denen an sich nehmen.«
Archer reichte ihm eine Strahlenpistole.
Kein Zweifel, dachte Tom, das war wirklich eine Strahlenwaffe.
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