Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chucks Welt

Chucks Welt

Titel: Chucks Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aaron Karo
Vom Netzwerk:
gut.
    Dr.   S. hat wieder Sneaker an. Zum Glück dieselben wie letztes Mal. Ich würde durchdrehen, wenn meine Therapeutin die gleiche Schuh-Obsession hätte wie ich.
    »Ich fand unsere letzte Sitzung vielversprechend, ja?«, fragt oder sagt Dr.   S. »Ich kann verstehen, dass du erst einmal zögerst, dich mir anzuvertrauen. Das ist normal. Heute schlage ich vor, ein wenig über deine Symptome zu sprechen, in Ordnung?«
    »Meine Routinen und so?«
    »Genau. Deine Routinen. Was für Angewohnheiten hast du?«
    Ich atme tief durch.
    Das hat doch keinen Zweck.
    »Na ja, ich wasche mir oft die Hände. Also, eigentlich andauernd. Auch wenn sie nicht schmutzig sind.«
    Dr.   S. nickt.
    »Tja, und dann hab ich ein Problem mit dem Herd bei uns zu Hause. Ich muss ihn dauernd kontrollieren. Ob die Platten wirklich aus sind.«
    »Wie vergewisserst du dich?«
    »Ich berühre sie immer wieder. Ich starre die Knöpfe an. Ich lausche, ob Gas ausströmt   … was ziemlich schräg ist, wenn ich so drüber nachdenke, ist nämlich ein Elektroherd.«
    Ich kichere über meine eigene Idiotie. Dr.   S. schmunzelt nur kurz, dann notiert sie was auf ihrem Block. Aus irgendeinem Grund stelle ich mir vor, dass sie gerade Galgenmännchen spielt und nach und nach das Wort I-R-R-S-I-N-N-I-G buchstabiert.
    »Weiter?«
    »Ich führe Unmengen von Listen. To-do-Listen. Total blödes Zeug manchmal, ›das Bett machen‹ oder so. Ich lege immer wieder neue Listen an und schreib sie wieder um, ohne jeden Grund.«
    Früher habe ich das mit den Listen für nicht weiter bemerkenswert gehalten, aber anscheinend ist so was typisch für Leute mit einer Zwangsneurose. Verdammte Wikipedia. Jetzt schäme ich mich dafür. Dr.   S. nickt wieder.
    »Ich muss auch auf Holz klopfen.«
    Dr.   S. guckt verwirrt, anscheinend ist das erklärungsbedürftig.
    »Wenn ich an irgendwas Mieses denke, das passieren könnte, muss ich auf Holz klopfen. Sie kennen doch diesen dummen Ausdruck, oder?«
    »Ja, schon, das sagt mir was?«
    »Ich klopfe nicht wirklich auf Holz, weil Holz meistens eklig ist. Trotzdem muss ich auf irgendwas klopfen, wenn ich einen schlechten Gedanken habe. Und wenn’s nur mein Bein ist oder irgendwas in der Art.«
    Dabei belasse ich es. Die Wichsliste, das Pinkeln und auch meine Obsession mit den Chucks lasse ich weg. Sie hat jetzt genug Stoff.
    Dr.   S. legt den Stift hin und fragt: »So, und was passiert, wenn du all diese Dinge nicht machst?«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Wenn du dir nicht die Hände wäschst und nicht prüfst, ob der Herd aus ist, oder nicht auf Holz klopfst, was passiert dann?«
    »Äh«, stottere ich, »keine Ahnung. Ich hab das noch nie nicht gemacht.«
    Ich denke an all die schlaflosen Nächte, in denen ich mich in die Frage hineingesteigert habe, ob der Herd aus ist oder ob ich nicht besser noch mal pinkeln gehen soll. An die vielen Male, die ich aufgestanden bin, um nach dem Herd zu schauen oder aufs Klo zu gehen, damit ich mich endlich entspannen konnte.
    »Okay, was ist zum Beispiel, wenn deine Hände schmutzig sind und du keine Gelegenheit hast, sie gleich zu waschen?«
    Ich winde mich auf meinem Sessel.
    »Na ja   … also   … dann fühl ich mich sozusagen verseucht. Ich könnte den Schmutz an meinen Händen irgendwie in den Mund oder in die Augen kriegen oder so, und dann würde ich krank werden.«
    Keine Ahnung, warum, doch plötzlich habe ich das dringende Bedürfnis, Dr.   S. zu beweisen, dass ich nicht verrückt bin. Ich werde auf einmal richtig munter. »Aber das Komische ist: Wenn ich also meine Hände anglotze und gar nichts mehr tun kann, bevor ich sie nicht gewaschen habe   – obwohl mir klar ist, dass sie gar nicht so furchtbar dreckig sind   –, jedenfalls weiß ich dann immer, ich werde nicht wirklich krank. Mir ist bewusst, dass das, was ich da treibe, vollkommen sinnlos ist.«
    Dr.   S. lächelt. »Chuck, ein Charakteristikum zwanghaften Verhaltens ist, dass die betroffene Person immer wieder zeitaufwendige, sich aufdrängende Gedankenmuster und wiederkehrende Handlungen durchläuft, um ihre Ängste in den Griff zu bekommen, ja? Aber ein ebenso wichtiges Merkmal ist, dass sich die Betroffenen über die Irrationalität dieser Gedanken und Handlungen im Klaren sind.«
    Scheiße. Ernsthaft?
    Mehr als ein »Oh!« bringe ich nicht heraus.
    »Um eine genaue Diagnose zu stellen, sind mehrere Sitzungen nötig«, fährt sie fort, »und auch das ist dann keine wissenschaftlich exakte Angelegenheit. Aber

Weitere Kostenlose Bücher