Chucks Welt
früherangegangen wäre, hätte sie gar nicht mitgekriegt, dass ich, na ja, total verkorkst bin.«
Dr. S. ignoriert diese Aussage. »Ich dachte schon, dass offenbar irgendwas schlecht läuft. Du hast Amy lange nicht mehr erwähnt, richtig?«
»Na ja, ich rede schon eine ganze Weile nicht mehr mit ihr. Aber jetzt, wo ich die Tabletten nehme und es mir langsam besser geht, werde ich ihr zeigen, dass ich keine Knalltüte bin. Für sie werde ich gesund.«
»Chuck?«
Ich warte darauf, dass sie weiterredet. Ihre zufällig eingestreuten Fragezeichen bringen mich immer noch manchmal aus dem Konzept.
Irgendwann fährt sie fort: »Das ist sehr wichtig. Was du da tust, ist bewundernswert, ja? Aber du musst für dich selbst gesund werden wollen. Nach allem, was du mir erzählt hast, ist Amy wirklich ein tolles Mädchen, richtig? Aber es würde mich besorgt stimmen, wenn du den Heilungsprozess vom Verhalten einer anderen Person abhängig machen würdest. Du hast diese Störung und du bist der Einzige, der sie besiegen kann. Sie ist ein Teil von dir. Das ist dein Kampf, ja? Es geht nur um dich.«
Ich nicke gehorsam. Was Dr. S. sagt, klingt einleuchtend, keine Frage. Aber seien wir ehrlich: Es geht nur um Amy.
S ieht aus, als würde sie weinen, und ich weiß nicht, warum.
Ich stehe ein Stück weg von Amys Schließfach, das im Gang für die unteren Klassenstufen ist, weil nur dort noch was frei war. In letzter Zeit habe ich Amy oft von hier aus beobachtet. Manchmal muss ich mich unauffällig verdrücken, wenn ich das Gefühl habe, dass sie mich sieht, oder wenn Beth in der Nähe ist, die ich in der Schule um jeden Preis meide.
Ich stehe weit genug weg, um mich sicher zu fühlen, aber auch aus dieser Entfernung sieht es eindeutig so aus, als würde Amy weinen. Sie holt ein Papiertaschentuch nach dem andern aus ihrer Tasche, fährt sich damit übers Gesicht und putzt sich die Nase. Das bringt natürlich viele schlimme Erinnerungen zurück. Zuletzt habe ich Amy bei dem »Vorfall« weinen sehen. Es hat mir damals nicht gefallen und gefällt mir jetzt auch nicht, todsicher. Wenn ich bloß wüsste, warum.
Auf einmal kreuzen Stacey und Wendy auf, wie Geier. Ich glaube, sie wollen Amy trösten. In Gedanken gehe ich die verschiedensten Gründe durch, aus denen Amy weinen könnte. Hat sie eine schlechte Note gekriegt? Wohl kaum, sie ist super in der Schule und würde sich auch nie so sehr über eine Note aufregen. Zieht sie schon wieder um? Aber sie hat doch gesagt, sie würde eine Zeit lang hier in der Stadt bleiben! Vielleicht hat sie, na ja, ihre Tage oder so. Aber da hat sie auch nie geweint, als wir noch Freunde waren. Weint sie vielleicht über … mich? Was ist los, verdammt noch mal?
Amy dreht sich um – ohne mich zu entdecken – und ich kann ihr Gesicht jetzt richtig gut sehen. Ja, sie weint, kein Zweifel. Ihr Gesicht ist ganz rot. Ihr Pony ist zerzaust. Sie umarmt Stacey und klappt das Schließfach zu. Alle drei laufen los, direkt auf mich zu. Immer noch fassungslos, kratze ich schnellstmöglich die Kurve.
Ich kriege eine SMS von Steve. Er behauptet zu wissen, was passiert ist, und will es mir in der Mittagspause erzählen. Mir wird fast schlecht vor lauter Anspannung. Endlich kommt er zu Kanha und mir an den Tisch.
»Und?«, frage ich, noch bevor er sich gesetzt hat.
»Barry und Barry sind in Chemie mit Amy zusammen«, erklärt Steve. »Die beiden haben gesagt, sie hätte erzählt, ihr Hund wäre weg oder so.«
»Was?« , rufe ich.
»Anscheinend ja, ihre Mutter war wohl mit ihm spazieren und er hat sich von der Leine losgemacht und ist weggerannt.«
»Ist das dein Ernst? Buttercup ist weg?«
»Heißt er so? Sieht danach aus, ja.«
»Sie.«
»Was?«
»Buttercup ist eine Sie, kein Er.«
»Aha«, macht Steve. »Tja, dann ist sie eben weg.«
»Wann ist das passiert?«
»Anscheinend heute.«
Ich fahre mir durch die Haare. Das ist heftig. Meine Gefühle sind trotzdem gemischt. Einerseits ist Buttercup die Quelle allen Übels. Wegen ihr bin ich ausgeflippt. Wegen ihr hasst mich Amy.Andererseits liebt Amy diesen gottverdammten Hund. Sie liebt ihn wirklich. Sie muss vollkommen fertig sein. Wenn ich nur irgendwas tun könnte.
Kanha merkt, dass ich die Nachricht nicht gut aufnehme. »Alles klar, Dogg?« Er merkt sofort, dass dieser Ausdruck gerade ziemlich daneben ist. »Oh, sorry«, schiebt er schnell hinterher.
»Ja, ich denk schon, alles okay«, sage ich. »Hast du sonst noch was gehört,
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