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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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können den Fisch bei Russ and Daughters kaufen und ihn bei mir zu Hause essen«, sagte Edek. »Oder bei dir zu Hause. Wir bezahlen dreitausend Dollar im Monat, was ist einhundert Dollar am Tag, damit ich irgendwo kann schlafen und sitzen an meinem eigenen Tisch. Wenn du würdest dein Loft vermieten, würdest du bekommen mindestens siebentausend Dollar im Monat.«
    Ruth fragte sich, seit wann Edek Immobilien- und Mietpreisexperte war. Seine Zahlen waren im großen und ganzenzutreffend. In New York war es nicht schwer, sich mit den Mietpreisen auszukennen. Das war ein Thema, für das sich fast jedermann interessierte. Viele Bewohner Manhattans konnten wie aus der Pistole geschossen die Preise für Einund Zweizimmerapartments aufsagen, aber die Mietpreise für ein Loft konnten nur die wenigsten korrekt schätzen. Zum einen waren Lofts seltener als Wohnungen, zum anderen waren Lofts individueller gestaltet und dadurch verschiedenartiger und schwieriger zu vergleichen.
    »Bei zehntausend Dollar im Monat müssen wir noch immer in einem Restaurant einen Tisch finden, damit wir ein Stück Gefilte Fisch können essen. Das ist meschugge«, sagte Edek.
    Ruth wollte nicht mit Edek in dem Loft essen, in dem kein Garth anwesend war. Sie hatte das Gefühl, wenn sie mit Edek in dem Loft äße, würde sie sich einsamer fühlen, als wenn sie allein dort äße. Und sie fühlte sich schon einsam genug. Die Vorstellung, mit Edek allein in seinem Apartment zu essen, kam ihr noch trostloser vor. Warum, hätte sie nicht sagen können. Es war ein sehr nettes Apartment, ziemlich geräumig für New Yorker Verhältnisse. Es hatte etwas Beruhigendes, unter Menschen zu Abend zu essen. Ruth liebte die Vitalität, die in Restaurants herrschte. Die Kellner, die Pikkolos, die Gespräche, den Austausch. Ruth spürte, daß sie das Bedürfnis hatte, die Außenwelt einzubeziehen, wenn sie mit Edek allein war. Als könnten die Dinge sonst sehr schnell düster, trostlos und trist werden. Ohne Vorwarnung, wenn sie beide allein waren.
    »Das ist meschugge«, sagte Ruth zu Edek. Aber Edek wechselte das Thema. Und sie aßen weiterhin im Second Avenue Deli.
    Ruth gewöhnte sich an, ihr eigenes Essen und eine Plastikgabel in das Second Avenue Deli mitzubringen. Sie brachte gedämpftes Gemüse in einem auslaufsicheren Plastikgefäßmit. Die Plastiktüte mit dem Behälter hielt sie auf dem Schoß, und wenn die Kellner nicht hinsahen, aß sie schnell einen Bissen. Um keine Aufmerksamkeit mit dem Essen auf ihrem Schoß zu erregen, bestellte sie eine Portion Hühnersuppe. Es war nicht einfach, mit einer Gabel in einer Plastikschüssel nach einem Stück Gemüse zu stochern und sie dann verstohlen in den Mund zu stecken. Vor allem ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Hin und wieder fielen ihr kleine Brokkoli-, Fenchel- oder Selleriestückchen oder eine Rosenkohlknospe auf den Schoß. Ab und zu stach sie sich aus Versehen mit der Gabel, so daß ihre Oberschenkel mittlerweile Stichwunden aufwiesen.
    »Warum ißt du nicht das, was essen normale Leute?« sagte Edek immer wieder mit vorwurfsvollem Blick. »Nimm ein bißchen gehackte Leber. Die gehackte Leber, was sie hier machen, ist sehr gut.«
    »Normale Leute essen gedämpftes Gemüse und Fisch«, sagte Ruth.
    »Du ißt hier nie Fisch«, sagte Edek. »Du ißt nur dieses Gemüse.«
    »Ich kann keinen gedämpften Fisch in einer Plastikschüssel mitbringen«, sagte Ruth.
    »Dann iß etwas Backfisch«, sagte Edek. »Sie machen hier sehr guten Backfisch.«
    »Ich mag keinen Backfisch«, sagte Ruth. »Ich mag pochierten Fisch, gedämpften Fisch und gegrillten Fisch.«
    Edek fiel ihr ins Wort. »Du machst dir immer noch Sorgen, du würdest wieder werden ein Dickerchen, Ruthie«, sagte er. »Das ist es nämlich.«
    »Nein, das ist es nicht«, sagte Ruth. Aber natürlich hatte Edek recht. Nach Jahren der Psychoanalyse auf zwei Kontinenten litt sie noch immer unter der Angst, vier Extrabissen von etwas Kalorienhaltigem würden sich umgehend verwandeln und in Form unförmiger Hüften wiedererscheinen.Und sie konnte ihre Figur noch immer nicht richtig einschätzen. Wenn sie in den Spiegel sah – was sie weitgehend zu vermeiden suchte –, hatte sie fast immer den Eindruck, doppelt so dick zu sein wie beim letztenmal. Nur in sehr seltenen Fällen hatte sie den Eindruck, etwas dünner geworden zu sein. Für die verschiedenen Eindrücke gab es meist keinerlei realistische Anhaltspunkte, wie es für so vieles galt, was emotional aufgeladen

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