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Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
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seine Süße, sein Mädchen, Mrs. Kisses, sein Prinzeßchen. Er nannte sie immer so. Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren. Er nannte sie auch seinen Hauptgewinn. »Bist du dir sicher, daß du nicht eher eine Niete gezogen hast?« hatte sie oft zu ihm gesagt. Sie kam sich nicht vor wie ein Hauptgewinn. Eher, weit eher, wie eine Last.
    »Du fehlst mir«, sagte Garth. »Ich bin einsam ohne dich.«
    Ruth war überglücklich. »Ich bin so froh, daß ich dir fehle und daß du einsam bist«, sagte sie. »Das macht mich sehr glücklich.« Es machte sie glücklich und überraschte sie, daß Garth sich ohne sie einsam fühlte. Er war ein ungewöhnlich unabhängiger und selbstgenügsamer Mensch. Er war gesellig und überaus bezaubernd, aber er schien auf andere Leute nicht allzusehr angewiesen zu sein und schien sie nicht zu vermissen.
    »Ich bin sehr einsam«, sagte Ruth. »Ich bin überhaupt nicht gerne von dir getrennt. Ich schlafe nicht gern allein. Ich frühstücke nicht gern allein. Und das ist noch nicht alles«, fügte sie hinzu. »Ich bringe nicht gern den Abfall raus, und nachts fürchte ich mich ein bißchen. Du fehlst mir. Du fehlst mir sogar bei der Arbeit. Ich weiß, daß ich nicht einfach zum Hörer greifen und dich anrufen kann, um dir zu erzählen, daß ich müde bin oder Kopfschmerzen habe. Ich kann dir nicht von meinen Verdauungsbeschwerden vorjammern. Ich kann dich einfach nicht anrufen und dir alles mögliche erzählen«, sagte sie.
    Garth lachte. »Wie geht es deinem Vater?« fragte er.
    Ruth holte tief Luft. »Mein Vater bringt mich um den Verstand«, sagte sie. »Momentan warte ich im Second Avenue Deli auf ihn.«
    »Du wartest auf Edek?« sagte Garth. »Edek ist immer pünktlich.«
    »Diesmal nicht, und zwar läßt er schon seit einer ganzenViertelstunde auf sich warten«, sagte Ruth. »Ich fange an, mir Sorgen zu machen.«
    »Ich wette, daß alles in Ordnung ist«, sagte Garth.
    »Jedenfalls bringt er mich wirklich um den Verstand«, sagte Ruth. »Er hat an allem, was ich esse, etwas auszusetzen. Er kauft genug Büromaterial, um IBM zu versorgen. Wir brauchen nicht mal die Hälfte von dem, was er kauft. Ich brauche Erholung von ihm. Er folgt mir auf Schritt und Tritt. Für alles, was ich tue, und für die Art, wie ich es tue, hat er Verbesserungsvorschläge. Und dauernd steckt er mit Max zusammen. Sie ist hingerissen von ihm. Wie alle.«
    Es stimmte, alle waren von Edek hingerissen. Der Türsteher im Sanger Building, die Leute des Feinkostgeschäfts um die Ecke, Velma, die einmal in der Woche das Loft und Edeks Wohnung putzte, der Mann am Zeitungskiosk in der Nähe des Büros und der Mann, der nicht weit von dem Zeitungskiosk Hot dogs verkaufte. Alle waren von Edek hingerissen. Zelda, Zachary und Kate waren von ihm hingerissen. Garth war von ihm hingerissen. Ruth kannte niemanden, der sich über Edek beschwert hätte. Sobald sie irritiert wirkte, sagten Zelda oder Kate sofort: »Grandpa ist wunderbar.« Das konnte sie nicht bestreiten. Sie fand ihn auch wunderbar. Aber er war nicht nur wunderbar, sondern genauso nervtötend. Und irritierend allgegenwärtig. Und beunruhigend aufmerksam.
    »Dein Vater ist unbezahlbar. Für sein Alter ist er ein Phänomen«, sagte Garth.
    »Ich weiß«, sagte Ruth. »Ich schäme mich, daß ich mich über ihn beklage.« Warum sagte sie, daß sie sich schämte, sich zu beklagen? Warum kam es ihr überhaupt in den Sinn, sich dafür zu schämen, daß sie sich über irgend etwas beklagte? Sie hatte ja eben erst eine lange Liste von Beschwerden verfaßt. Eine nach der anderen. Kein Wunder, daß Zelda es selbstverständlich fand, Ruth anzurufen, um sich zu beklagen.Ruth war zweifellos die Herrscherin des Planeten mit Namen Beschwerde.
    »Wie geht es dir, Liebster?« sagte sie zu Garth. »Ich habe die ganze Zeit nur von mir gesprochen.«
    »Mir geht es gut«, sagte Garth. »Die Landschaft ist herrlich. Unendlich abwechslungsreich. Trockene, dürre Wüsten und tropische Regenwälder und die atemberaubendsten Küsten und ein wunderschöner Sandstrand nach dem anderen. Das hat alles etwas Tiefes und zutiefst Berührendes für mich.«
    Ruth konnte Garths Naturverbundenheit nicht verstehen. Ihre eigene Verbundenheit schien sich auf Menschen zu beschränken. Und auf Schokolade.
    »Wenn ich an australische Landschaften denke«, sagte Ruth, »denke ich daran, wie ich in der Fahrerkabine eines alten Lastwagens sitze, und mein Vater sitzt hinten auf der Ladefläche ohne Seitenwände, und

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