Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chuzpe: Roman (German Edition)

Chuzpe: Roman (German Edition)

Titel: Chuzpe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lily Brett
Vom Netzwerk:
gewesen war. Und seine abwiegelnde Antwort, als Ruth ihn gefragt hatte, von wem er denn einen Anruf erwartet habe. Edeks Behauptung, seine Freundin Topcha könne ihn in New York besuchen wollen, war offenkundig ebenfalls eine Kriegslist. Eine weitere Finte. In Ruths Kopf pochte es. Sie nahm zwei Kopfschmerztabletten und ging früh nach Hause.
    Sie hätte am liebsten Garth angerufen. Sie hätte am liebsten Garth angerufen und geweint. Sie überlegte, ob sie lieber warten sollte, bis ihre Stimme nicht so hysterisch klang, wie ihr zumute war. Sie fürchtete, daß bis dahin Tage vergehen würden. Sie rief Garth an.
    »Hallo, mein Herz«, sagte Garth. »Es ist so schön, deine Stimme zu hören.«
    »Du wirst nicht glauben, was passiert ist«, sagte Ruth zu ihm. »Zofia und Walentyna sind in New York aufgekreuzt.«
    Sie erzählte Garth alles von Anfang bis Ende. Garth war nicht entsetzt. Er war nicht einmal verblüfft. Seine Stimme klang keineswegs aufgeregt. Ruth vermutete, daß die leise Andeutung von Verstörtheit, die sie wahrnahm, von ihr selbst ausging. Es war ihr nicht gelungen, ihre Hysterie zu dämpfen.
    »Beruhige dich, Süße«, sagte Garth.
    »Wenn ich mich beruhigen könnte, wäre ich jemand anders«, sagte Ruth zu Garth. Sie hatte es schon oft zu ihm gesagt. Er mußte darüber immer lachen, aber es hielt ihn nicht davon ab, zu ihr zu sagen, sie solle sich beruhigen.
    Ruth begann zu argwöhnen, daß Garth möglicherweise dachte, Zofias und Walentynas Kommen sei eine gute Sache. Das machte sie noch nervöser. Garth hatte die unerfreuliche Angewohnheit, allen Dingen etwas Positives abzugewinnen. Er konnte fast alle Neuigkeiten in gute Neuigkeiten ummünzen.
    »Dann hat dein Vater wenigstens Gesellschaft«, sagte Garth.
    »Die falsche Sorte Gesellschaft«, sagte Ruth.
    »Liebling, ist dir deshalb eine Laus über die Leber gelaufen?« sagte Garth.
    »Mir ist keine Laus über die Leber gelaufen«, sagte Ruth. »Mit meiner Leber ist alles in Ordnung. Wieso eigentlich Laus?«
    »Wahrscheinlich nur wegen der Alliteration«, sagte Garth.
    »Mir ist keine Laus über die Leber gelaufen«, sagte Ruth. »Eher geht mir die Galle über.«
    »Du hast dir vorher auch Sorgen um deinen Vater gemacht«, sagte Garth.
    »Aber jetzt mache ich mir mehr Sorgen«, sagte sie.
    Garth lachte.
    »Ich finde das nicht komisch«, sagte Ruth. Das Gespräch nahm nicht den gewünschten Verlauf.
    »Du wolltest doch, daß dein Vater ein Hobby findet«, sagte Garth.
    »Daß Zofia und Walentyna in das Apartment meines Vaters einziehen, kann ich nicht unter der Kategorie Hobby betrachten«, sagte Ruth. »Ihre Anwesenheit hat wahrscheinlich, wenn nicht sogar mit Sicherheit, schwerwiegendere Folgen als jedes Hobby, solange es sich nicht gerade um Bungee- oder Fallschirmspringen handelt.«
    Garth lachte wieder.
    »Du nimmst das alles nicht ernst, stimmt’s?« sagte Ruth.
    »Ach, Süße«, sagte Garth, »ich nehme das tatsächlich nicht ernst. Ich finde, es könnte eine gute Sache sein.«
    »Gut für wen?« sagte Ruth. »Gut für Zofia und Walentyna. Sie kommen aus Zoppot raus, das zwar den längsten Kai des gesamten Baltikums aufweisen kann, aber sehr viel mehr Attraktionen nicht. Und Zofia gelangt …« Ruth hielt inne. Diesen Gedanken wollte sie nicht weiterverfolgen. Sie wollte sich nicht ausmalen, wohin Zofia gelangen konnte.
    »Gut für deinen Vater«, sagte Garth.
    »Du bist wirklich keine Hilfe«, sagte Ruth.
    »Süße, du mußt dich in dieser Sache endlich beruhigen«, sagte Garth.
    Warum verlangte man von ihr, daß sie sich beruhigte? Esgab Dinge, über die man mit Fug und Recht beunruhigt sein konnte. Und Zofias Erscheinen gehörte zu diesen Dingen.
    Als Ruth am nächsten Morgen aufstand, war ihr zumute, als hätte sie kein Auge zugetan. Ihr Kopf schmerzte. Und sie fühlte sich völlig erschöpft. Sie beschloß, ihren Vater nicht anzurufen. Sie wollte warten, bis er sie anrief. Am Vorabend hatte sie ihre Kinder angerufen. Keines von ihnen hatte sich über die Neuigkeiten bestürzt gezeigt.
    Kate hatte gesagt: »Großartig.« Zeldas Reaktion hatte gelautet: »Das wird Grandpa Freude machen.« Und: »Prima für Grandpa«, war Zacharys Antwort.
    »Wußtest du, daß sie kommen?« hatte Ruth Zachary gefragt.
    »Nein, aber ich nehme stark an, daß Grandpa es wußte«, hatte er geantwortet.
    Ruth saß in ihrem Büro. Sie fragte sich gerade, ob die kurzen, stechenden, bohrenden Schmerzen in ihrem Kopf Anzeichen eines bevorstehenden Schlaganfalls sein

Weitere Kostenlose Bücher