Chuzpe: Roman (German Edition)
fragte Ruth.
»Als Zofia mich angerufen hat, um mir zu sagen, daß sie beide hatten gewonnen Greencards.«
»Okay, Dad«, sagte Ruth. »Und was haben sie hier vor? Und wie können sie sich leisten, hier zu sein?«
»Sie haben mitgebracht das Geld, was sie beide hatten auf der Bank«, sagte Edek. »Es ist nicht so viel Geld wie das Geld, was du hast, Ruthie, aber es gibt nicht so viele Leute, was haben so viel Geld, wie du hast.«
»Ich habe nicht so viel Geld«, sagte Ruth.
»Du hast jede Menge«, sagte Edek.
»Ich kann mir vorstellen, daß ich mehr habe als Zofia und Walentyna«, sagte Ruth.
»Sowieso hast du das«, sagte Edek.
»Und was haben sie vor?« fragte Ruth.
»Zofia will aufmachen eine Firma«, sagte Edek.
»Sie will in New York eine Firma aufmachen?« sagte Ruth. »Und was für eine Firma?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Edek. »Und um zu sagen die Wahrheit, glaube ich, daß Zofia es selbst nicht weiß.«
»Um die Wahrheit zu sagen«, hatte Edek gesagt. Wie oft hatte er Ruth in letzter Zeit die Wahrheit gesagt? Nicht gerade oft.
»Zofia ist sicher, daß sie kann aufmachen eine Firma«, sagte Edek. »Viele Leute machen auf eine Firma. Amerika ist die goldene medine . Es ist ein Land, was noch hat eine Menge ungebremste Möglichkeiten.«
Was für Möglichkeiten? fragte sich Ruth. Ungebremste? Die Vorstellung ungebremster Möglichkeiten zwischen Edek und Zofia gefiel ihr gar nicht.
»Wo wollen sie wohnen?« fragte Ruth Edek.
»Sie werden wohnen sowieso bei mir«, sagte Edek. »Sie kennen sonst niemand in New York.«
»Sie sollen bei dir wohnen?« sagte Ruth. »In deinem Apartment?«
»Ja«, sagte Edek. »Ich habe genug Platz.«
»Soviel Platz hast du nicht«, sagte Ruth.
»Es sind nur zwei Leute«, sagte Edek. »Als du warst klein, wir hatten nur zwei Zimmer, und Regina und Itzak und ihre zwei Töchter haben gewohnt bei uns monatelang.«
Monatelang – hatte Edek vor, sein Apartment monatelang mit Zofia und Walentyna zu teilen? »Das waren andere Zeiten«, sagte Ruth. »Wir hatten kein Geld, und Regina und Itzak hatten auch keines.«
»Zofia und Walentyna haben nicht besonders viel Geld«, sagte Edek.
»Aber du kennst sie doch kaum«, sagte Ruth. »Können sie nicht im Hotel wohnen? Ich finde, du solltest dir Zeit nehmen, in Ruhe darüber nachzudenken. Ich finde, du solltest nichts Übereiltes tun.«
»Wieviel Zeit habe ich noch?« sagte Edek. »Manchmal ein bißchen Eile ist nicht so schlecht in meinem Alter.«
Edek mußte auflegen. Zofia und Walentyna waren angekommen.
Ruth war deprimiert. Der Gedanke an Zofias und Walentynas Anwesenheit deprimierte sie. Sie hatte nichts gegen Walentyna. Walentyna schien eine nette, eine wirklich ganz reizende Person zu sein. Aber Zofia mochte Ruth nicht. Sie wußte nicht einmal, warum sie Zofia nicht mochte. Sie hatte nichts gegen Zofia. Sie mochte sie nur nicht. Beide Frauen hatten Edek angehimmelt. Das war vom ersten Augenblick ihrer Bekanntschaft in Polen an unübersehbar gewesen.
Walentyna hatte sich nicht minder heftig um Edeks Gunst bemüht als Zofia. Aber Walentyna hatte keine Chance gehabt. Sie war keine ernstzunehmende Konkurrentin für Zofia, die mit lasergleicher Präzision ihre Brüste und ihre Aufmerksamkeit auf Edek gerichtet hatte. Zofia hatte mit Edek geschlafen. Geschlafen . Was für ein blöder Ausdruck, dachte Ruth. Sie war überzeugt, daß es dabei am wenigsten ums Schlafen gegangen war.
Sie versuchte, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Gedanken an Zofia und Edek verstopften ihr den Kopf. Zofia, die Edek berührte, in Polen. Die seine Hand hielt. Die ihn ermunterte zu essen. Edek brauchte wahrhaftig niemanden, der ihn zum Essen ermunterte. Mit Zofias Ermunterung hatte Edek in der Woche, die sie in Krakau verbrachten, noch mehr gegessen, als er normalerweise zu essen pflegte. Als er mit Ruth Auschwitz besucht hatte, hatte er eine Eßpause eingelegt. Doch bei ihrer Rückkehr hatten Zofia und Walentyna sie bereits erwartet. Mit einem großen Tablett voller Essen. Mit Platten von Würstchen und Käse und Pasteten und Leberwurst.
Ruth dachte an die vergangenen Wochen. Manche der rätselhafteren Aspekte von Edeks Verhalten hatten überhaupt nichts Rätselhaftes mehr. Edeks Ausführungen über Büstenhalter in Sondergrößen in der Lower East Side waren jetzt viel einleuchtender. Und so manches andere. Seine Untröstlichkeit darüber, daß sein Handy den ganzen Tag ausgeschaltet
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