Chuzpe: Roman (German Edition)
Brüste aus lauter Verzweiflung zum Hängebusen, vielleicht gaben sich Oberschenkel und Hintern einfach auf. Sie nahm an, daß es zu spät für sie sein dürfte, sich zu Zuversicht und Heiterkeit zu bekehren. Es wäre wahrscheinlich ein Schock für ihre Körperteile. Sie müßten denken, sie wären jemand anderem übereignet worden.
Zofia brachte eine Platte mit Miniklopsen aus Kartoffeln und Kielbasa.
»Ruthie, diese kleinen Klops nennt Zofia Kroketten«, sagte Edek. »Kroketten sind etwas, was essen Leute bei Cocktailpartys. Man ißt sie mit den Fingern.«
»Die Kroketten sind sehr praktisch für Cocktailpartys«, sagte Zofia. »Man kann sie essen, wie sie sind, oder im Ofen aufbacken. Und man braucht nichts anderes. Zwei oder drei Kroketten und ein Glas Wein sind genau richtig für jeden Gast.«
Ruth bewunderte die Gewißheit, mit der Zofia feststellte, was richtig war. Ruth selbst war wesentlich vertrauter mit allem, was es nicht war.
»Ruthie, probieren Sie eine Kartoffel-Kielbasa-Krokette«, sagte Zofia.
»Nein, danke«, sagte Ruth.
»Ruthie war früher ein Dickerchen«, sagte Edek zu Zofia. »Bis heute sie denkt, wenn sie ißt etwas, was nicht ist das Zeug, was sie ißt jeden Tag, sie würde wieder werden ein Dickerchen.« Er schwieg einen Augenblick. »Es ist nicht so leicht, zu haben Eltern, was waren im Konzentrationslager«, sagte Edek zu Zofia und Walentyna. »Ich glaube, wenn ihre Mum und ich nicht hätten das durchgemacht, dann vielleicht meine Tochter wäre ein bißchen normaler.«
Ruth hatte ihren Vater noch nie die Möglichkeit einräumen hören, daß die Brutalität und das Entsetzliche, das er und Rooshka durchgemacht hatten, einen Einfluß auf sie ausgeübt haben könnte. Darüber hätte sie gerne mit ihm gesprochen. Nicht an diesem Abend. Irgendwann einmal.
»Ich bin normal«, sagte Ruth. »Ich bin sehr normal.« Sie wußte, daß man nicht sehr normal sein konnte. Entweder war man normal, oder man war es nicht. Sie aber empfand das Bedürfnis, einen Grad der Normalität zu behaupten, normaler als normal zu sein.
»Ich glaube, wenn Rooshka und ich nicht wären gebracht worden in das Ghetto und nach Auschwitz und wenn Ruthie wäre aufgewachsen in Polen, dann wäre alles leichter für sie«, sagte Edek.
»Ich bin froh, daß ich nicht in Polen aufgewachsen bin«, sagte Ruth. »Dort wimmelt es von Antisemiten.« Die Worte waren aus ihr herausgesprudelt, ohne daß sie sie hatte sagen wollen. Sie war selbst von der Vehemenz überrascht, mit der es geschehen war.
»Ruthie, es gibt sicher jede Menge polnische Leute, was sind keine Antisemiten«, sagte Edek. »Sehr viele Polen waren Antisemiten, und ich bin überzeugt, daß es noch immerpolnische Leute gibt, was sind Antisemiten. Aber Zofia und Walentyna sind keine solchen Leute.«
Ruth schämte sich für ihren Ausbruch. Er war so unangebracht. Sie wünschte, sie hätte sich über Kroketten geäußert und darüber, wie gut sie sich für Cocktailpartys eigneten. Sie wünschte, sie hätte sich zu allem möglichen geäußert außer zu Polen.
Zofia servierte das Essen. Es gab eine Schüssel rote Bete und einen Kartoffelsalat mit Schinken, ein Gericht aus Pilzen und Reis, Zofias Gurken in Essig und Zucker und eine Platte Klopse aus Hühnerfleisch und gebratenen Zwiebeln.
»Ich habe etwas Besonderes für Sie, Ruthie«, sagte Zofia. »Ich habe mit Spinat experimentiert. Ich weiß, daß Sie Spinat mögen.«
Ruth schämte sich noch mehr.
»Ruthie mag dieses Spinatzeug für ihr Leben gern«, sagte Edek.
Zofia kam mit einer Schüssel voll dampfender grüner Kugeln. »Wahnsinn«, sagte Ruth. »Diese Klopse sehen wunderschön aus.« Das stimmte. Sie waren tiefgrün. Sie waren von einem fast dunklen Smaragdgrün. Zofia legte Ruth zwei Spinatklopse und ein wenig rote Bete auf ihren Teller. Neben dem Spinat richtete sie ein paar Gurkenscheiben an. Das Hellgrün und das Dunkelgrün vor dem Rot der roten Bete war atemberaubend schön. »Das sieht wunderschön aus«, sagte Ruth.
»Und es schmeckt noch viel schöner«, sagte Edek. »Nicht für mich, weil ich nicht mag solche grünen Sachen, was du magst.«
Ruth spießte mit ihrer Gabel etwas von dem Spinatklops auf. Edek, Zofia und Walentyna hielten inne. Alle drei sahen Ruth an. Und sahen aus, als hielten sie den Atem an. Ruth führte die Gabel in den Mund. Der Spinatklops schmeckte köstlich. Er war saftig und zart und schmeckte hauptsächlichnach Spinat, gewürzt mit einer überraschenden
Weitere Kostenlose Bücher