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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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wurde er aus seinen glückseligen Gedanken gerissen. Direkt vor seinen Augen lieferten sich zwei Frauen eine waschechte Prügelei. Bronstein wusste, als Polizist musste er dazwischengehen. Er packte eine der Frauen am Oberarm und riss sie zurück: „Was ist hier los?“, schrie er, so laut er konnte.
    Die eine Frau deutete mit zitterndem Zeigefinger auf die andere: „Die hat si beim Bäck viredrängt, und drum hot s’ des letzte Brot kriagt, des Luader, des ausg’schamte.“
    „Goa ned woahr! I woa z’erst da.“
    Bronstein kannte diese Geschichten schon zur Genüge. Seit dem Herbst gab es in der Stadt kaum noch Lebensmittel, und wenn sich irgendwo herumsprach, dass eine Lieferung eingetroffen war, dann balgte sich halb Wien um das wenige, dasdie Regierung ihrem Volk noch zur Verfügung stellen konnte. Er selbst hatte sich die letzten Tage von Rüben und Erdäpfeln ernährt, Fleisch gab es selbst im Präsidium nur noch für die leitenden Beamten. „Wo ist das Brot?“, fragte Bronstein.
    „In da Toschn hot s’ as.“
    „Na geben S’ schon her“, sagte Bronstein mit ungeduldigem Tonfall. Der betroffenen Frau standen die Tränen in den Augen. „Bitte, ned wegnehmen. Ich brauch’s für meine Kinder“, flehte sie.
    „Na und“, keifte die andere, „nur weil i kane G’schrazn daham hob, soll i vahungern?“
    Bronstein nahm das halbe Kastenbrot, das die Frau aus ihrer Tasche geholt hatte, entgegen und prüfte es. Das Innere des Brotes war feucht wie eine Kellerwand. Kein Zweifel, hier war Korn minderster Qualität verwendet worden, der Nährwert dieses Gebäcks war ohne Frage äußerst gering. Zudem schätzte Bronstein die Portion auf maximal 300 Gramm, was wohl schon für eine Person zu wenig wäre, geschweige denn, dass es für eine Familie gereicht hätte.
    „Wo haben Sie das her?“
    „Da, vom Bäck in der Teilfaltstraßen.“
    Bronstein fasste einen Entschluss. „Kommen S’ mit, die Damen.“
    Er überquerte die Straße, die zwei Frauen im Schlepptau. Die Bäckerei war geschlossen. Er pochte heftig an die Tür. „Es gibt nix mehr. Hau ab!“, hörte er aus dem Inneren des Geschäfts.
    „Polizei! Machen S’ auf. Aber gach a no!“
    Nur wenig später vernahm Bronstein, wie ein Schlüssel im Schloss gedreht wurde. Die Tür ging auf, und ein sichtlich überraschter Bäcker sah Bronstein fragend an: „Was liegt an, Herr Inspektor?“
    „Sie haben dieser Frau verdorbenes Brot verkauft. Gemäß dem geltenden Kriegsrecht wird das verheerende Folgen fürSie haben. Sie sollten sich besser von Ihrer Familie, so sie eine haben, verabschieden, denn Sie werden sie für eine sehr, sehr lange Zeit nicht mehr sehen.“
    Der Bäcker wurde blass. „Aber bittschön, Herr Inspektor, des muaß a Irrtum sei. I vakauf ka hiniche Woar. No nie!“
    „Und was ist dann das?“ Bronstein fuhr dem Bäcker blitzschnell mit dem Brot unter die Nase und zog es sofort wieder weg. „Verschimmelt ist das. Völlig ungenießbar, ja sogar lebensgefährlich. Wenn die Dame das gegessen hätte, sie wäre wahrscheinlich daran gestorben!“
    „Um Gottes Willen! Herr Inspektor!“ Der Bäcker begann zu taumeln und musste sich am Türgriff festhalten, um nicht umzufallen. „Nur ned ins G’fängnis! Alles, nur des ned! Um Himmels Willen, i woa immer a ehrlicher Kaufmann, wirklich! Des kann nur a Versehen g’wesen sein. I bitt Sie gar schön, Herr Inspektor, da muss’s doch a andere Lösung geben als den Häfn.“
    Bronstein tat, als käme er ins Wanken. „Na ja“, sagte er schließlich, „Sie waren ja wirklich noch nie aktenkundig mit Ihrer Bäckerei. Aber“, und dabei hob er die Stimme an und gab ihr einen herrischen Ton, „der Schaden muss natürlich ersetzt werden. Und zwar hic et nunc. Nur dann kann ich von einer weiteren Amtshandlung absehen.“
    „Aber sicher, Herr Inspektor, des is jo eh kloa!“ Der Bäcker lief in den hinteren Lagerraum, von Bronstein argwöhnisch beäugt. Einen Augenblick später kam er mit einem riesigen Laib Bauernbrot, der fraglos zwei Kilo wog, wieder zurück. „Den hab i mir eigentlich für den Eigenbedarf aufg’hoben, aber unter die Umständ’ …“
    Bronstein warf einen prüfenden Blick auf den Laib: „Gut. Den schneiden Sie jetzt genau in der Mitte durch. Gemma, gemma.“ Der Bäcker tat, wie ihm geheißen. Bronstein nahm die zwei Hälften in Empfang. Er sah den Bäcker mit strengem Blick an: „Wenn ich nur noch ein einziges Mal etwas über Sie höre, dann verrotten Sie in den

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