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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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noch ziemlich viel Schnee überall. Aber irgendwann hab ich dann die ersten kyrillischen Aufschriften gesehen und hab gewusst, ich bin auf der anderen Seite.“
    „Bei den Bolschewiki“, prahlte Bronstein mit seinem frisch erworbenen Wissen.
    „Nein. Bei den Anarchisten, wie sich gezeigt hat. Nach ein paar Stunden des Stapfens durch den tiefen Schnee kam mir ein Trupp Uniformierter entgegen, die eine schwarze Fahne mit sich führten. Auf der stand ,Svoboda ili smert‘ zu lesen, und darunter ,Cornaja Gwardija‘. Da wusste ich, das waren Machnos Leute.“
    „Machno?“
    „Nestor Machno. Ein überaus charismatischer Bauern- und Kosakenführer, der sich zum Anarchismus bekennt. Er orientiert sich nicht an Marx und Engels, sondern an Kropotkin und Bakunin.“
    „Und wer sind jetzt die?“
    „Ach, David, das ist alles viel zu lang. Das erkläre ich dir einmal, wenn der Sozialismus in diesem Land aufgerichtet ist. Für jetzt soll dir genügen, dass ich die Roten gesucht und die Schwarzen gefunden habe.“
    „Ach, die sind konservativ? Na ja, klar, als Bauern.“
    „Kieberer!“ Das Wort kam betont streng aus Jelkas Mund. „Die Anarchisten sind Ultralinke. Und schwarz ist eben auch ihre Farbe. Jedenfalls erwiesen sie sich als überaus höflich und zuvorkommend. Als ich ihnen erklärt hatte, woher ich kam und wohin ich wollte, setzten sie mich in eine Troika und schickten mich in Nestor Machnos Hauptquartier. Der ließ mich auch sofort zu sich rufen. Ein wirklich schneidiger Bursch. Ziemlich jung für einen Anführer. Sicher noch keine dreißig, aber alle dort nannten ihn nur Batko, Väterchen, und obwohl er keinerlei Funktionen bekleidet, hört alles auf sein Kommando. Wie gesagt, eine sehr charismatische Erscheinung. Na jedenfalls wollte er ganz genau wissen, wie es um Österreich steht, ob es schon eine revolutionäre Bewegung gibt, was die Arbeiter denken und wie es um die Bauernschaft bestellt ist. Wir haben volle zwei Tage diskutiert und geredet, und am Ende hat er mir einen Propusk, eine Art Pass, ausgestellt und mich mit einerEskorte in den Norden geschickt, wo Leo, also Trotzki, wie es hieß, sein Quartier aufgeschlagen hatte. So kam ich immer tiefer in die Ukraine, und irgendwann Mitte April übergaben mich die Anarchisten einer bolschewistischen Abteilung. Und die brachte mich tatsächlich nach etlichen Umwegen zu Leo.“
    Bronstein pfiff anerkennend durch die Zähne: „Da hast du ja ganz schön was erlebt. Und wieso bist du jetzt wieder hier? Und vor allem seit wann?“
    „Leo ist der Ansicht, dass die russische Revolution nur siegen kann, wenn das Proletariat im Weltmaßstab siegreich ist. Und dafür braucht es in jedem Land eine revolutionäre Partei, die das Proletariat anleiten und anführen kann. Und so ist es logischerweise meine Aufgabe, hier in Wien zu wirken. Nach zwei Monaten der Schulung und beständigen Diskussion habe ich mich also wieder durch die Linien geschmuggelt, bin nach Kiew gegangen und von dort mit einem der letzten Züge, die noch verkehrten, im September nach Wien gefahren. Und seitdem bin ich hier.“ Jelka hielt ihr Glas hoch und zeigte dem Kellner an, dass sie noch einen Slibowitz wollte. „Wie dir deine Kollegen sicher mitgeteilt haben“, sagte sie nun wieder zu Bronstein, „habe ich meine Aufgabe bereits erfüllt. Vor fünf Tagen haben wir die österreichische Schwesterpartei der Bolschewiki ins Leben gerufen.“
    „Meine Kollegen haben mir gar nichts erzählt“, entgegnete Bronstein.
    „Sag bloß, du hast dich nicht nach mir erkundigt. Was bist denn du für ein Polizist?“
    „Jelka, wie oft soll ich dir das noch sagen. Polizist ist mein Beruf. Wenn ich nicht im Dienst bin, dann bin ich einfach nur ein normaler Mensch. Und Gesinnungsschnüffelei ist schon überhaupt nicht mein Metier. Bei mir soll jeder machen, was er will. Solange er dabei anderen keinen Schaden zufügt, geht mich das überhaupt nichts an.“
    „David“, und dabei legte Jelka ihre Hand auf die Bronsteins, „du sagst das so süß, dass man es dir direkt glauben kann.“
    „Ich meine es auch genau so“, fuhr Bronstein fort, „ich bin Polizist geworden, weil ich Ungerechtigkeit nicht ertragen konnte. Schon als Kind nicht. Ich wollte, dass jene, die sich nicht an die Regeln halten, ihre gerechte Strafe bekommen.“
    „Oje, ein Idealist. Na, da hast du ja schlechte Karten bei der Kieberei.“
    „Wieso das denn?“
    „Geh, bitte, das sind doch alles Zyniker. Im besten Fall. Die meisten sind

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