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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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wieder den Strom abgestellt“, sagte Bronstein in die Richtung, in der er Jelka wusste, „die haben keine Rohstoffe mehr, um Strom zu produzieren. Der Krieg!“
    „Ich denke, du hast recht“, hörte er Jelka antworten, „das wird heute nichts mehr mit dem Licht.“
    Bronsteins Achterbahn der Gefühle ging also ungebremst weiter. Eben hatte er von Neuem zu hoffen gewagt, der Abend mochte sich in die richtige Richtung entwickeln, und jetztbestand die Gefahr, er könnte von einem Augenblick auf den anderen zu Ende sein. Verzweifelt überlegte er, wie er die Situation retten konnte, doch seinem Munde entrang sich nur ein ratloses: „Und was machen wir jetzt?“
    „Ich kenne bei mir ums Eck am Karmelitermarkt eine kleine Schankstube, die ist recht heimelig. Da kann man sich auch bei Kerzenlicht gut unterhalten“, entgegnete Jelka, „und weit weg ist das von da auch nicht. Einfach über den Kohlmarkt und die Tuchlauben zum Kanal, und dann rein in die Taborstraße, und schon sind wir da. Na, wie wär’s? Bist dabei?“
    Bronsteins Achterbahn ging anscheinend wieder nach oben. „Ist der Papst katholisch?“, beantwortete er die Frage mit einer Gegenfrage.
    „Wahrscheinlich nicht“, merkte Jelka lakonisch an, „aber ich nehme deine Antwort als ein Ja. Ober, zahlen!“
    Der Wirt unternahm einen halbherzigen Versuch, die Gäste vom Gehen abzuhalten, resignierte aber rasch. Die beiden bezahlten ihre Schnäpse, wobei Jelka mit Nachdruck darauf bestand, für ihre Konsumation selbst aufzukommen, und danach traten sie auf die Straße, die in völliger Finsternis vor ihnen lag. Die Temperatur war abermals gefallen, und Bronstein sah Jelka besorgt an: „Ist dir sehr kalt?“
    „Ach, es geht schon. Aber danke der Nachfrage.“
    Bronstein schritt forsch aus, um durch schnelles Marschieren der Kälte ein klein wenig Herr zu werden. Bis zum Graben wechselten sie kein Wort, doch entging es Bronstein nicht, dass Jelka ihn immer wieder von der Seite beäugte. Dass ihm das auffiel, lag freilich nur daran, dass auch er immer wieder einen schnellen Blick auf die Seite schickte. Innerlich musste er grinsen. Sie benahmen sich wie Backfische, dachte er.
    Die Stadt präsentierte sich zu dieser späten Stunde ganz anders als noch am Vortag. Weit und breit war niemand zu sehen. Selbst die Grabennymphen waren verschwunden. DieStraßen lagen leer und verlassen da, ein Häusermeer in völliger Dunkelheit und Stille. Bronstein fröstelte, und wieder sah er kurz zur Seite. Auch Jelka hatte ihn eben angesehen, denn sie drehte ruckartig den Kopf nach vorn. „Ist dir auch so furchtbar kalt?“, fragte er schließlich. Im fahlen Licht des Mondes registrierte er ein Nicken. „Schön’ Fräulein, darf ich’s wagen, Arm und Geleit ihr anzutragen?“
    Jelka ließ ein glucksendes Lachen vernehmen. „Für den Augenblick“, sagte sie dann. Bronstein bewegte sich näher an sie heran und legte seinen Arm um ihre Schulter. Sie schmiegte sich an ihn, und so schlenderten sie zum Kai wie ein verliebtes Paar. Beim Kanal war die Kälte noch bitterer. Erste Eisschollen trieben auf dem Wasser, das sich träge zur Donau bewegte. Sie schenkten diesem Umstand keine Beachtung und sahen zu, dass sie in die Taborstraße kamen. „Ist es von hier noch weit?“
    „Ach, keine fünf Minuten mehr!“
    „Na Gott sei Dank, ich bin schon fast erfroren.“
    Endlich wurde der Turm der Karmeliterkirche sichtbar, und einige Schritte später bogen die beiden nach links ein. Erst unmittelbar vor dem Lokal konnte Bronstein das kleine Schild erkennen, das über der Tür angebracht war und sanft im Wind schaukelte, doch er hätte eine Lampe gebraucht, um lesen zu können, was darauf geschrieben war. Erleichtert stellte er fest, dass eine große Kerze im Fenster stand und gedämpfter Lärm aus dem Inneren der Gaststätte drang, untrügliche Zeichen dafür, dass diese Wirtsstube geöffnet hatte. Entschlossen drückte er die Türschnalle hinunter.
    Das Lokal bestand aus einem einzigen Raum, an dessen einem Ende die Schank untergebracht war, auf der ein halbes Dutzend Kerzen für etwas Beleuchtung sorgten. Den Rest des Raumes nahmen sieben Tische ein, von denen jedoch fünf nicht besetzt waren. An den anderen beiden saßen jeweils zwei Personen, von denen Bronstein annahm, dass es sich um Paare handelte,denn sie wirkten sehr vertraut miteinander. Jelka grüßte den Wirt, der ihr freundlich zunickte. „Slibo, wie immer?“, rief er, und Jelka nickte nur. Bronstein holte eine

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