Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
Vom Netzwerk:
gleichgültig waren. Sie hätte selbst Lenin als neuen Herrn von Schönbrunn willkommen geheißen, wenn nur der Ehegatte wieder auf die Beine kam. Und wieder begann sie zu weinen.
    Bronstein behagte die Situation nicht. Er wusste, er musste sich um das Fieber des Vaters sorgen, doch eigentlich fieberte er selbst, und zwar seiner Verabredung mit Jelka entgegen. Er wollte sich seine hoffnungsfrohe Stimmung nicht so restlos verderben lassen, und so unternahm er einen halbherzigen Versuch, die Mutter zu trösten und zu beruhigen: „Ich komme vielleicht morgen noch einmal vorbei, spätestens aber am Sonntag, weil da hab ich ohnehin dienstfrei. Jetzt muss ich aber wirklich gehen, weißt du, die Pflicht ruft.“ Mit einer gewissen Portion schlechten Gewissens umarmte er seine Mutter und begab sich dann schnell zur Wohnungstür.
    Wieder auf der Straße, zündete er sich eine Zigarette an. Die Erkrankung seines Vaters war natürlich eine ernste Sache. Aber es würde an ihrem Verlauf absolut nichts ändern, wenn er jetzt wie ein altgriechisches Klageweib im Vorzimmer Wache hielt. Es war nicht schamlos oder undankbar von ihm, von seines Vaters Bettstatt zu weichen, denn er konnte in der Tat nichts für ihn tun. Bestenfalls stand es in seiner Macht, sich um die Mutter zu kümmern, und das tat er ja schließlich auch. Und seine Mutter wünschte sich ja ohnehin seit zehn Jahren schon eine Schwiegertochter und möglichst viele Enkelkinder. Also handelte er durchaus in ihrem Sinne, wenn er nun den Weg zum Kaffeehaus einschlug, um dort Jelka seine Aufwartung zumachen.Bronstein war froh, sich selbst überzeugt zu haben, und trabte mit frisch gewonnenem Frohsinn auf die Innenstadt zu.
    Punkt acht Uhr betrat er das Kaffeehaus. Zielsicher ging er auf den Tisch zu, an dem er am Vortag gesessen war, und fand ihn zu seiner Erleichterung leer vor. Er ließ sich auf einem der Sessel nieder und bestellte erst einmal einen Slibowitz. Danach zog er eine Zigarette aus seinem Etui und presste sie zwischen seine Lippen. Mit der linken Hand klopfte er seinen Mantel ab und fand endlich die Streichhölzer. Er entnahm der Schachtel eines davon und rieb mit dem Schwefelkopf über die dafür vorgesehene Reibfläche. Es knisterte kurz, dann zischte eine Flamme hoch. Bronstein hielt diese an seine Zigarette und konnte nun seinen ersten Zug inhalieren. Zufrieden blies er den Rauch aus und nahm die Eingangtür in den Blick. Er hatte kaum mehr als zwei, drei Züge gemacht, als der Rotschopf von Jelka im Türrahmen erschien. Sie trug einen langen, grauen Militärmantel, und ihre Hände steckten in Fäustlingen von undefinierbarer Farbe. Unterhalb des Mantels erkannte Bronstein Reitstiefel, die von schwarzem Leder gefertigt waren. Trotz des unvorteilhaften Schnitts, den der Mantel aufwies, ließen sich deutlich Jelkas üppige Formen erkennen, und Bronstein bemühte sich, nicht allzu ostentativ auf diese markante Stelle an Jelkas Körper zu starren. Er richtete seinen Blick auf ihre Augen aus und registrierte dabei, dass sie ihn anlächelte. Mittlerweile war sie an ihn herangekommen und reichte ihm mit einem nonchalanten „Servus, Kieberer“ die Hand. Er nahm sie entgegen, hob sie in die Höhe, drehte sie dabei um 45 Grad und drückte einen Kuss auf den Handrücken. Dabei sagte er mit verschmitztem Lächeln: „Küss die Hand, Gnädigste.“ Aus Jelkas Lächeln wurde ein Lachen: „Wenn das die Genossen wüssten!“ Sie setzte sich ihm gegenüber und bestellte gleich Bronstein einen Slibowitz. Dann holte sie einen Tabakbeutel aus ihrer Manteltasche, entnahm einer anderen Tasche ein Behältnis mit Zigarettenpapier und begann,sich eine Zigarette zu drehen. „Und wie war das Leben heute zu dir, Kieberer?“, sagte sie leichthin.
    „Weißt was, sag doch einfach David zu mir. Wir sind ja schließlich unter uns.“
    „Na gut“, nuschelte sie, da sie eben die Selbstgedrehte in den Mund genommen hatte, „wie war’s heute also, David?“
    „Ich bin mir ziemlich sicher, dass du das gar nicht wissen willst. Ziemlich öde Ermittlungsarbeit. Die ewig gleiche Routine.“
    Jelka sah ihn von der Seite an: „Musst irgendwelchen Genossen nachspionieren?“
    Bronstein schüttelte heftig den Kopf: „Überhaupt nicht. Ein sehr merkwürdiger Mordfall an einer jungen Modistin. Wir haben heute ihren Vater einvernommen, der wie vom Donner gerührt war, als er davon erfahren hat. Vor kurzem ist auch noch die Mutter an Tbc gestorben. Eine tragische Geschichte. Und bisher haben

Weitere Kostenlose Bücher