Chuzpe
einstweilen hereinkommen?“ Bronstein machte eine einladende Geste, und der Junge trat ein. Der Major führte ihn zum Tisch und hieß ihn Platz zu nehmen. Ehe er noch fragen konnte, ob der Gast auch Tee wolle, ging die Tür abermals auf, und Jelka befand sich wieder in ihrer Wohnung. „Max, was willst denn du hier?“
Max sah unsicher auf Bronstein. Der hob abwehrend die Hände und meinte, er müsse ohnehin einmal auf den Gang. Im Vorbeigehen nahm er Jelka den Schlüssel ab und trollte sich. Er hörte gerade noch die Worte „Partei“ und „Sitzung“, und er war überzeugt, dass Jelka schon bald das gemeinsame Nest verlassen würde.
Als er die Wohnung wieder betrat, wurde er schon von Jelka erwartet. „Du“, flötete sie, „der Genosse Tober hat mir gerade berichtet …“
„Jelka, ich will es gar nicht wissen, ich verstehe das, ohne Fragen stellen zu müssen. Bei mir wird es auch immer wieder der Fall sein, dass ich von einer Minute auf die andere weggerufen werde. Wird es lange dauern?“
„Das kann ich nicht sagen. Wir haben Hinweise darauf, dass die Sozis morgen Berlin spielen wollen. Karl soll zur Abdankung gezwungen werden, und dann soll auch bei uns die Republik ausgerufen werden. Entweder noch morgen oder, wenn Karl Schwierigkeiten macht, spätestens am Dienstag. Und da müssen wir uns natürlich beraten, wie wir auf diese neue Situation reagieren.“
Bronstein überlegte: „Hast du die Telefonnummer vom Herrenhof?“ Jelka nickte: „Egon hat sie mir einmal gegeben, als er dort erreichbar war.“
„Eben. So machen wir es auch. Wir hinterlassen uns dort eine Nachricht. Wenn einer von uns verhindert ist, dann sagt eres einfach dem Zahlkellner vom Herrenhof. Ansonsten treffen wir uns wieder um acht in dem Lokal da drüben. Das heißt, wenn du willst.“
Jelka lächelte: „Ja, das klingt gut. So können wir es machen.“
„Gut, dann hole ich mir nur noch schnell meinen Mantel.“
Ehe er das Haustor öffnete, steckte sich Bronstein noch eine Zigarette an. Die Turmuhr der Karmeliterkirche schlug elf, als er sich, gegen den scharfen Wind ankämpfend, Richtung Innenstadt in Bewegung setzte. Während er auf den Donaukanal zuhielt, überlegte er, was er mit dem verbleibenden Tag anfangen konnte. Er war seit vier Tagen nicht mehr in seiner Wohnung gewesen, vielleicht sollte er es riskieren, sich nach Dornbach durchzuschlagen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Außerdem lag es nahe, sich bei der Mutter nach dem Befinden des Vaters zu erkundigen. Allein mit diesen beiden Aufgaben würde es leicht Abend werden. Am Ring konnte er feststellen, dass die Straßenbahnen immer noch nicht verkehrten, und das ließ seine Entschlossenheit, die eigene Wohnung aufzusuchen, merklich sinken. Bis dorthin waren es beinahe zehn Kilometer, die würde er schon an einem lauen Frühlingstag nicht einfach so bewältigen. Dieser Zustand war einfach unhaltbar. Da hatte man zwei Regierungen, und keine der beiden konnte dafür sorgen, dass die menschlichen Grundbedürfnisse gedeckt waren. Vielleicht hatten die Kommunisten ja doch recht. Ein System, das die anstehenden Probleme nicht lösen konnte, hatte keine Existenzberechtigung. Mit saurer Miene stapfte er weiter. Am besten, so dachte er, wäre es, wenn er zuerst zu seiner Mutter ging. Von dort aus würde er dann bis zum Gürtel marschieren, um sich in einem der dortigen Cafés zu stärken. Danach konnte er dann die letzte Etappe in Angriff nehmen.
Das Gespräch mit der Mutter verlief unerfreulich. Sie war eben wieder auf dem Weg ins Spital, da sie eigentlich nichtvom Krankenbett des Vaters weichen wolle. Ihre Sorge um den Gatten glich nun schon einer regelrechten Panik, und es fiel Bronstein überaus schwer, sie davon zu überzeugen, dass der Vater noch nicht im Sterben lag, dass vielmehr die Zeit für ihn arbeitete. Im Gegenteil, je länger die Mutter lamentierte, umso mehr schlich sich auch bei ihm eine gewisse Angst ein, und er beschloss, am nächsten Tag selbst im Krankenhaus vorbeizuschauen, um dort mit den Ärzten zu sprechen. Die Mutter raffte eilig noch einige Sachen zusammen, dann lief sie schon wieder los, um so schnell als möglich wieder an der Seite ihres Mannes zu sein. Schneller, als er gedacht hatte, fand sich Bronstein also wieder auf der Straße, und so ging er quer durch Margareten zur Wienzeile hin. Er stieg die breite Treppe zur Windmühlgasse hinan und nutzte dann den Durchgang durch das große dort befindliche Gebäude, der ihn direkt auf die
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