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Chuzpe

Chuzpe

Titel: Chuzpe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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zurück, dann drehte sich das Rad der Geschichte weiter, und man fand sich auf dem Misthaufen der Geschichte wieder. So würde es nun auch der Habsburgermonarchie gehen.
    Die Polizisten hatten noch keine zwanzig Minuten gewartet, als die ersten ehemaligen Regierungsmitglieder das Gebäude verließen. Der Verbindungsbeamte kam auf den Wagen zu und erklärte, Lammasch werde jetzt nach Schönbrunn fahren, um dem Kaiser vom Ende seiner letzten Regierung zu berichten und dessen Thronverzicht entgegenzunehmen. Morgen würden dann die Stellen Deutschösterreichs damit beginnen, sich im Regierungsgebäude einzurichten, für heute sei also nichts mehr zu erwarten. Der Vizepräsident zuckte mit den Schultern und sagte dann Bronstein, er solle noch auf ein Stündchen oder zwei ins Amt gehen, um dort seinen Bericht zu schreiben, den Rest des Tages könne er sodann freinehmen. Aber er solle keinesfalls vergessen, am kommenden Tag um 10 Uhr im Parlament zu sein. Bronstein sicherte selbiges zu und stieg sodann aus dem Auto aus.
    Als er ziemlich genau um 14 Uhr sein Amtszimmer betrat, fand er Pokorny schlafend vor. Unsanft weckte er ihn. „Was wissen wir über die Causa Spitzer“, sagte er arglistig, dem Untergebenen die Details der vorangegangenen Nacht bewusst vorenthaltend. „Ich bin an der Sache dran“, entgegnete Pokorny eilig, peinlich berührt, beim Schlafen ertappt wordenzu sein. „Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan, weil ich so eifrig ermittelt habe.“
    „Und was hast du herausgefunden?“
    „Also der Spitzer, der ist wie vom Erdboden verschwunden. Ich habe alle Örtlichkeiten aufgesucht, an denen er sich üblicherweise aufhält, doch samt und sonders ohne Ergebnis. Es hat ihn niemand gesehen, seit er mit diesem Mann von seiner Frau weg ist. Und genau darum habe ich auch schon eine Theorie.“
    „Und die lautet?“ Bronstein war ehrlich gespannt.
    „Der ist abgehauen.“
    „Der ist abgehauen?“
    „Ja, genau“, erklärte Pokorny mit echter Emphase, „der hat einfach alles satt gehabt. Die militärische Niederlage, die Xanthippe von Ehefrau, die Schulden als Stabsoffizier, der wollte einfach Tabula rasa machen. Er hat sich irgendeinem Kontaktmann anvertraut, und mit dem ist er dann abgezogen. Er wollte es so aussehen lassen, als sei er entführt worden, aber in Wirklichkeit ist er mit diesem Kerl nach Triest, um sich dort nach Amerika einzuschiffen.“
    Bronstein verbiss sich ein Lachen. Diese Variante war so hanebüchen, dass sie schon beinahe wieder faszinierend war. Er stellte sich den alten Kommandanten als Auswanderer vor. Was sollte der in Amerika? Manchmal war Pokorny einfach eine echte Nummer. „Und was glaubst du, macht so ein alter Mann in Amerika? Der Spitzer kann kein Wort Englisch, was sollte der dort?“
    „Ach, das macht gar nichts. Da drüben gibt es ein starkes deutsches Kontingent. Es hat ja seinerzeit nicht viel gefehlt, und man würde dort heute Deutsch sprechen. Da gab es so eine Volksabstimmung, ob Englisch oder Deutsch die Staatssprache werden sollte, und da hat das Deutsche nur um eine Stimme verloren. Das weiß ich aus den Büchern.“
    „Ja, Karl May wahrscheinlich“, ätzte Bronstein.
    „Wirklich. Und der Spitzer ist immerhin ein hoher Offizier, den können die dort sicher gut als Berater im Kampf gegen die Indianer brauchen.“
    „Pokorny, du lebst echt hinter dem Mond. Die Indianer sind schon lange ausgerottet. Die gibt es nur mehr auf der Bühne und angeblich in der Kinematographie. Und außerdem, woher sollte der Alte so viel Geld haben, um sich eine Reise nach Amerika leisten zu können?“
    „Was weiß ich! Bekommen pensionierte Generäle nicht eine ordentliche Pension? Vielleicht hat er all die Jahre etwas beiseite gelegt.“
    Bronstein schüttelte den Kopf. „Gib’s auf, Pokorny. Der Fall ist gelöst. Ich hab den Spitzer gestern gefunden. Versoffen hat er sich mit einem alten Frontkameraden und die Zeit dabei verloren. Du siehst also, deine wunderbare Theorie hat nur einen klitzekleinen Haken: Sie ist Mumpitz.“
    Pokorny sah seinen Vorgesetzten verwirrt an. Er brauchte eine Weile, um sich zu fangen. „Versoffen?“
    „Ja, versoffen. Ich hab dem Vizepräsidenten schon mündlich Bericht erstattet. Jetzt muss ich das Ganze nur noch schriftlich machen, dann können wir diesen Fall zu den Akten legen. Der Alte wird wahrscheinlich schon bei seiner Frau sein, die ihm sicher gehörig den Kopf wäscht. Aber das geschieht ihm recht, dem alten Säufer.“
    Verlegen

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