CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
verwerflicher Schritt«, so Whitten in einer fünfzehn Jahre später abgegebenen Aussage. »Helms hielt Informationen zurück, weil es ihn seinen Job gekostet hätte.« Diese Erkenntnisse allerdings waren »ein absolut entscheidender Faktor für die Analyse der Ereignisse im Zusammenhang mit Kennedys Ermordung«, urteilt Whitten. Hätte er davon gewusst, »dann hätten unsere Ermittlungen in diesem Fall ganz anders ausgesehen«.
In den Geheimgesprächen Angletons mit Allen Dulles wurde gleichsam der Datenfluss gesteuert, den die CIA bereitstellte. Ihrer beider Entscheidungen mögen die Richtung für das abschließende Urteil der Warren-Kommission bestimmt haben. Angleton sagte allerdings aus, dass die Kommission die Bedeutung der Verbindungen zu den Sowjets und zu Kuba nie in der gleichen Weise hätte deuten können wie er und sein kleiner Stab von CIA-Mitarbeitern.
»Wir hätten besser durchgeblickt«, sagte er. »Wir waren stärker engagiert in der Sache (…) Wir hatten mehr Erfahrung, was die Abteilung 13 betraf und die ganze Geschichte über die 30 Jahre Sowjetsabotage und Sowjetmorde. Wir kannten Fälle und wir kannten die Verfahrensweisen.« Es kam gar nicht in Frage, bekräftigte er, bestgehütete Geheimnisse aus den Händen zu geben.
Sein Verhalten war glatte Justizbehinderung. Zu seiner Verteidigung hatte er nur ein Argument. Er glaubte nämlich, dass Moskau einen Doppelagenten losgeschickt habe, um die Rolle der Sowjets bei der Ermordung John F. Kennedys zu verschleiern.
»Die Folgen … wären verheerend gewesen«
Der Mann, den Angleton im Verdacht hatte, hieß Juri Nosenko. Er war im Februar 1964 als Überläufer in die USA gekommen, gerade zu dem Zeitpunkt, als Angleton die CIA-Ermittlungen übernahm. Nosenko war ein verzogener Spross der sowjetischen Elite: Sein Vater war Schiffbauminister gewesen und als Mitglied im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei nach seinem Tod an der Kremlmauer bestattet worden. Nosenko jr. war 1953, im Alter von 25 Jahren, zum KGB gestoßen. 1958 arbeitete er in der KGB-Abteilung, die britische und US-Bürger im Visier hatte, die die Sowjetunion bereisten. Er wechselte dann ins USA-Referat und spähte in den Jahren 1961 und 1962 die amerikanische Botschaft aus. Danach wurde er stellvertretender Leiter des Referats für Touristenverkehr.
Die Stellung seines Vaters schützte ihn bei seinen vielen Fehltritten, die allesamt daher rührten, dass er seinen Wodkadurst nicht bremsen konnte. Damit war Schluss, als er im Juni 1962 als Sicherheitsbeamter der sowjetischen Delegation bei einer von 18 Staaten abgehaltenen Abrüstungskonferenz nach Genf reiste. Schon am ersten Abend ließ er sich volllaufen, und als er erwachte, stellte er fest, dass ihn eine Prostituierte um sein Geld, Schweizer Franken im Wert von 900 Dollar, erleichtert hatte. Die Sanktionen des KGB für die Veruntreuung von Geldern waren hart.
Nosenko hatte unter den Mitgliedern der amerikanischen Delegation einen ihm von Moskau her bekannten Diplomaten namens David Mark als CIA-Offizier identifiziert – vielmehr gemeint, identifiziert zu haben. Nach ihm suchte er jetzt. David Mark war seit fünf Jahren an der Moskauer Botschaft als Berater in politischen und Wirtschaftsangelegenheiten tätig. Obschon er nie ein Spion war, hatte er doch für die CIA kleine Gefälligkeiten erledigt und war daher offiziell von den Sowjets zur persona non grata erklärt worden. Dies schadete indessen seiner Karriere keineswegs, denn er wurde später Botschafter und die Nummer zwei der Geheimdienstabteilung des Außenministeriums.
Im Anschluss an die Nachmittagssitzung zum Verbot von Nuklearwaffentests, erinnert sich Mark, sei Nosenko zu ihm gekommen und habe auf Russisch zu ihm gesagt: »Ich möchte mit Ihnen reden ... Aber nicht hier. Ich möchte mit Ihnen zu Mittag essen.« Das war ein offensichtlicher Vorstoß. Mark dachte an ein Restaurant am Rande der Stadt und verabredete sich mit ihm für den nächsten Tag. »Natürlich habe ich das den Leuten von der CIA gleich gesagt, und die meinten: ›Du lieber Gott, warum haben Sie gerade dieses Restaurant ausgesucht? Da gehen doch alle Spione hin!‹« Also saßen der Amerikaner und der Russe unter den argwöhnischen Blicken von zwei CIA-Beamten beim Essen zusammen.
Nosenko erzählte Mark von der Prostituierten und dem verschwundenen Geld. »Ich muss das wieder in Ordnung bringen«, waren, nach Marks Erinnerung, die Worte Nosenkos. »Ich kann Ihnen vielleicht ein paar
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