CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
würde, hätten wir heute eine vergleichbare Situation, denn die Gesetze sind ja nicht verändert worden, und ich weiß nicht, was man mit so einem wie Nosenko machen würde. Damals baten wir das Justizministerium um rechtliche Beratung. Es war eindeutig, wir hielten ihn fest unter Zuwiderhandlung gegen das Gesetz, aber was sollten wir mit ihm machen? Sollten wir ihn freilassen und uns ein Jahr später dann anhören müssen, wie man uns sagt: ›He, gerade das hättet ihr Jungs besser nicht tun sollen. Denn er war ja die Schlüsselfigur dazu, wer an der Ermordung Kennedys beteiligt war.‹«
Die CIA schickte ein weiteres Befragungsteam los, das Nosenko verhören sollte. Es kam zu dem Ergebnis, dass er die Wahrheit gesagt habe. Am Ende wurde er fünf Jahre nach seinem Seitenwechsel freigelassen, und man zahlte ihm eine Entschädigung in Höhe von 80 000 Dollar. Er erhielt eine neue Identität und wurde auf die Gehaltsliste der CIA gesetzt.
Angleton und seine Vertrauten zogen indessen keinen Schlussstrich unter diesen Fall. Ihre Suche nach dem Verräter innerhalb der CIA ließ das Referat für die Sowjetunion auseinanderbrechen. Die Hatz auf den Maulwurf fing damit an, dass Mitarbeiter mit slawischen Familiennamen unter Druck gesetzt wurden. Und sie machte auch in der Spitze der Befehlskette, beim zuständigen Referatsleiter, nicht halt. Für ein Jahrzehnt, bis in die siebziger Jahre hinein, legte sie die Russland-Operationen der CIA lahm.
Noch fünfundzwanzig Jahre nach Nosenkos Übertritt in die USA mühte sich die CIA, das letzte Kapitel seiner Geschichte zu schreiben. Alles in allem wurden sieben größere Untersuchungen zu diesem Fall angestellt. Nosenko wurde verurteilt, von den Vorwürfen entlastet und erneut beschuldigt, bis schließlich, am Ende des Kalten Krieges, das letzte Urteil durch die CIA in der Person von Rich Heuer aufgehoben wurde. Heuer war anfangs ein unerschütterlicher Parteigänger der These vom Superkomplott gewesen, bis er schließlich den Wert der Informationen, die Nosenko den Vereinigten Staaten preisgegeben hatte, dagegen abwog. Ungefähr 200 Ausländer und 238 Amerikaner, an denen der KGB Interesse gezeigt hatte, konnten dank der Hilfe des russischen Spions beziehungsweise durch die von ihm gegebenen Ermittlungshinweise identifiziert werden. Er hatte an die 300 sowjetische Geheimdienstler und ausländische Kontaktpersonen verpfiffen und schätzungsweise 2000 Leute vom KGB. Er hatte 52 versteckte Mikrofone lokalisiert, die die Sowjets in der Moskauer Botschaft der USA montiert hatten. Er hatte dazu beigetragen, dass die CIA ihr Wissen über die Methoden, mit denen die Sowjets ausländische Diplomaten und Journalisten zu bestechen suchten, erweitern konnte. Um das Superkomplott für stichhaltig zu erklären, mussten vier Dinge glaubwürdig erscheinen: Erstens, dass Moskau bereit war, alle diese Informationen zum Schutz eines einzigen Maulwurfs preiszugeben; zweitens, dass alle kommunistischen Überläufer Desinformanten des Geheimdienstes waren; drittens, dass der riesige sowjetische Geheimdienstapparat nur dazu bestand, um die Vereinigten Staaten auf falsche Fährten zu setzen. Und schließlich, dass hinter der Ermordung Kennedys eine undurchdringliche kommunistische Verschwörung steckte.
Für Richard Helms blieb der Fall unabgeschlossen. Bis zu dem Tag, so ließ er verlauten, an dem die sowjetischen und kubanischen Geheimdienste ihre Akten rausrückten, würde die Geschichte nicht beerdigt sein. Entweder war der Mord an Kennedy das Werk eines geistesgestörten Herumtreibers mit einem billigen Gewehr und einem Sieben-Dollar-Zielfernrohr, oder die Wahrheit war noch weitaus schrecklicher. Oder, wie es einmal Lyndon B. Johnson gegen Ende seiner Amtszeit ausgedrückt hat: »Kennedy versuchte Castro zu erwischen, aber Castro hat ihn vorher erwischt.«
22 »Eine verhängnisvolle Tendenz«
Sein Leben lang wurde Lyndon B. Johnson von dem Gedanken an die Geheimoperationen der Kennedys verfolgt. Immer wieder ließ er verlauten, Dallas sei die Strafe Gottes für Diem. »Wir haben uns alle zusammengetan, um eine verdammte Mörderbande anzuheuern«, so jammerte er, »und dann haben wir ihn tatsächlich umgebracht.« Im ersten Jahr seiner Amtszeit wurde Saigon durch eine Serie von Putschversuchen heimgesucht, undurchschaubare Grüppchen von Aufständischen begannen mit der Ermordung von Amerikanern in Vietnam, und die Befürchtung, dass die CIA für politische Morde benutzt wurde, peinigte
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