CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
Geheimhaltungspraxis das Überleben der CIA in Frage stellte. Er hatte Ford umworben, seit dieser Vizepräsident geworden war, hatte ihm täglich eine Kopie des Berichts an den Präsidenten durch Boten zukommen lassen und ihn über das geheime, 400 Millionen Dollar teure Projekt auf dem Laufenden gehalten, ein gesunkenes sowjetisches U-Boot vom Grund des pazifischen Ozeans heraufzuholen (die Bergungsaktion scheiterte, weil das U-Boot in zwei Stücke zerbrach). Er habe Ford alles wissen lassen wollen, »was auch der Präsident wusste«, erklärte er. »Wir wollten nicht noch einmal eine Situation haben wie damals, als Truman keine Kenntnis von dem Manhattan-Projekt hatte.«
Präsident Ford freilich rief ihn niemals an und suchte nie seinen persönlichen Rat. Ford stellte den Nationalen Sicherheitsrat in der Bedeutung wieder her, die er unter Eisenhower gehabt hatte; Colby nahm an den Sitzungen teil, aber er wurde nie allein ins Oval Office gebeten. Colby versuchte, in den großen aktuellen Fragen mitzureden, aber er blieb ein Außenstehender. Mit Kissinger und Haig als Torwächtern und Aufpassern drang Colby nie in den inneren Zirkel des Weißen Hauses unter Ford vor. Und falls er noch eine Chance gehabt haben sollte, den Ruf der CIA wiederherzustellen – nach dem Dezember 1974 war es damit endgültig vorbei.
Ein Journalist der New York Times , Seymour Hersh, hatte aufgedeckt, dass Amerikaner von der Agency bespitzelt worden waren. Die Eckdaten der Geschichte hatte er in monatelanger Berichterstattung zusammengetragen, bis er dann am Freitag, dem 20.Dezember 1974, das lang erstrebte Interview mit Colby in der CIA-Zentrale führen durfte. Colby, der die Unterhaltung heimlich mitschnitt, versuchte Hersh davon zu überzeugen, dass es sich bei der illegalen Überwachung um einen bedeutungslosen Vorgang, eine Bagatelle, handelte, über die man am besten kein Wort verliere. »Familiengeheimnisse, meine ich, lässt man am besten da, wo sie hingehören – unter Verschluss«, erklärte er Hersh. Aber so etwas sei vorgekommen, gab er zu. Hersh saß die ganze Nacht über bis in den Samstagvormittag hinein an der Schreibmaschine.
Die Story erschien am 22.Dezember 1974 auf der ersten Seite der Sonntagsausgabe. Die Schlagzeile lautete: Berichte von riesiger CIA-Operation in den USA gegen Front der Kriegsgegner.
Colby versuchte die CIA dadurch aus der Schusslinie zu bringen, dass er für die Geschichte mit den illegalen inneramerikanischen Überwachungen Jim Angleton, der zwanzig Jahre lang zusammen mit dem FBI private Briefpost geöffnet hatte, zum Sündenbock machte. Er beorderte Angleton zu sich in den siebten Stock und feuerte ihn. Verstoßen und alleingelassen, verbrachte Angleton den Rest seines Lebens damit, Mythen um seine frühere Arbeit zu ranken, aber befragt, wie es zu erklären sei, dass die CIA der Anweisung aus dem Weißen Haus, den ganzen Inhalt des Giftschranks zu vernichten, nicht nachgekommen sei, brachte er die Sache auf den Punkt: »Es ist undenkbar«, erklärte er, »dass ein geheimes Werkzeug der Regierung allen offiziellen Befehlen dieser Regierung Folge leistet.«
»Leichen werden ausgebuddelt«
Am Weihnachtsabend schickte Colby eine lange Akte an Kissinger, in der niedergelegt war, welche Geheimnisse er auf Schlesingers Anordnung hin zusammengetragen hatte. In einer durch Watergate geprägten Situation konnte die Veröffentlichung der Akte die CIA zugrunde richten. Kissinger strich sie am Weihnachtstag auf eine eng beschriebene fünfseitige Kurzfassung für Präsident Ford zusammen. Ein Jahr, nämlich das ganze Jahr 1975, brauchte der Kongress mit seinen Untersuchungen, um ein paar der in dieser Kurzfassung angeführten Fakten freizulegen.
Kissinger setzte den Präsidenten davon in Kenntnis, dass die CIA tatsächlich Linke bespitzelt, Zeitungsreporter telefonisch abgehört und überwacht, illegale Durchsuchungen veranstaltet und zahllose Säcke mit Post geöffnet hatte. Aber es gab noch mehr und weit Schlimmeres. Kissinger traute sich nicht, schriftlich festzuhalten, was er dem »Schreckensbuch«, wie er die Note nannte, entnommen hatte. Einige der Aktionen der CIA »waren eindeutig illegal«, ließ er Ford warnend wissen. Andere »werfen grundlegende Fragen moralischer Art auf«. Obwohl er ein Jahrzehnt lang dem kleinen, für die CIA zuständigen Unterausschuss des Repräsentantenhauses angehört hatte, waren dem Präsidenten Ford diese Geheimnisse absolut neu – Spionage im eigenen Land,
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