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CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)

CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)

Titel: CIA: Die ganze Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Weiner
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ins Weiße Haus, um das Augenmerk des Präsidenten nach Möglichkeit auf die Tatsache zu lenken, dass die kommunistischen Truppen dabei waren, die Hauptstädte von Südvietnam, Laos und Kambodscha einzuschließen. Zwanzig Jahre lang hatten die Streitkräfte und die nachrichtendienstlichen Einheiten der Vereinigten Staaten umsonst gekämpft.
    »Die Kommunisten haben eine neue Runde der Kämpfe eröffnet, mit Saigon als letztem Ziel«, erklärte Colby am 9.April dem Präsidenten und dem Nationalen Sicherheitsrat: Die Amerikaner müssten so bald wie möglich damit beginnen, alle in Frage Kommenden – Amerikaner und Vietnamesen – zu evakuieren, sagte er, denn es werde nach dem Fall von Saigon mit Sicherheit zu Racheaktionen kommen. Tausende von Amerikanern und Zehntausende von politischen, militärischen und nachrichtendienstlichen Verbündeten unter den Südvietnamesen seien in Gefahr, wenn sie blieben.
    »Die Nordvietnamesen haben mittlerweile 18 Infanteriedivisionen in Südvietnam stehen«, berichtete Colby. »Wir glauben, dass Hanoi alles Erforderliche tun wird, um den Krieg mit Gewalt zu einem raschen Ende zu bringen – wahrscheinlich schon Anfang des Sommers.« Er lag um zwei Monate daneben. Die Stadt Saigon, in der sich immer noch sechstausend amerikanische Offiziere, Spione, Diplomaten und regierungsamtliche Helfer abmühten, sollte binnen drei Wochen fallen. Colby schlug dem Präsidenten vor, »den Kongress um die Finanzmittel für die Einhaltung des Versprechens zu bitten, den Vietnamesen, möglicherweise ein bis zwei Millionen, beim Verlassen des Landes zu helfen«. Das wäre die größte Notevakuierung in der Geschichte der zivilisierten Menschheit geworden.
    Colbys Warnungen wurden nirgends in Washington zur Kenntnis genommen, nicht im Weißen Haus, nicht im Kongress, nicht im Pentagon und auch nicht vom amerikanischen Botschafter in Saigon. Nur ein Einziger verstand, was die Stunde geschlagen hatte: der Chef des CIA-Büros in Saigon, Tom Polgar.
    »Es war ein langer Kampf, und wir haben verloren«
    Am 29.April 1975 wurde Polgar um vier Uhr morgens von lautem Raketen- und Artilleriefeuer geweckt. Der Flughafen lag unter Beschuss. Sieben Hubschrauber von Air America – mit denen die CIA ihren Pendelverkehr in Südvietnam abwickelte – wurden zerstört. Polgar musste sich um Hunderte von Personen kümmern. Die Amerikaner, die für ihn arbeiteten, waren das eine Problem. Das andere waren die Vietnamesen, die für die CIA arbeiteten, und ihre Familien. Sie wollten nichts wie weg, aber Starrflügelmaschinen ließen sich nun nicht mehr vom Flughafen starten.
    Polgar zog sich rasch ein blaues Jackett und hellbraune Freizeithosen an, steckte, einer Eingebung folgend, seinen Pass ein und eilte zur amerikanischen Botschaft. Die Straßen der Viermillionenstadt Saigon lagen aufgrund einer vierundzwanzigstündigen Ausgangssperre verlassen da. Er rief Botschafter Martin an. Der litt an einem Lungenemphysem und Bronchitis und brachte nur ein qualvolles Flüstern heraus. Anschließend kontaktierte Polgar Kissinger und Admiral Noel Gayler, den amerikanischen Oberkommandierenden im Pazifik und vormaligen Leiter der Nationalen Sicherheitsbehörde. Aus Washington erhielt er neue Anweisungen: Er sollte die Evakuierung entbehrlichen Personals aufs Äußerste forcieren. Genauere Angaben darüber, wer gehen und wer bleiben und wie die Leute aus der Stadt herausgebracht werden sollten, machte Kissinger nicht.
    Die südvietnamesische Armee stürzte ins Chaos. Die Landespolizei löste sich auf. In den eben noch ruhigen Straßen herrschte die Anarchie.
    Präsident Ford ordnete eine Verringerung des Botschaftspersonals von 600 auf 150 Personen an. Fünfzig davon waren CIA-Beamte. Polgar konnte sich nicht recht vorstellen, dass die Nordvietnamesen nach dem Fall Saigons einem gut besetzten CIA-Büro erlauben würden, seine Arbeit fortzusetzen.
    In der Botschaft traf Polgar Leute, die in ihrer Wut Fotos von Nixon und Kissinger zertrümmerten und auf ihnen herumtrampelten. Die Botschaft glich, wie Polgar sich ausdrückte, »einer Vielkampfarena ohne Kampfrichter«.
    Um 11 Uhr 38 ordnete Ford die Schließung der Botschaft an. Alle Amerikaner sollten bis Einbruch der Nacht die Stadt verlassen haben. Um die Botschaft drängten sich Tausende von angsterfüllten Vietnamesen, eine Mauer aus verzweifelten Menschen. Es gab nur einen Weg in die Botschaft hinein und aus ihr heraus, einen Schleichpfad vom Parkplatz zum Garten der französischen

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