CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)
den Mitarbeitern offensichtlich. Die leitenden Beamten kommen ebenfalls ins Schwimmen.« Die Agency werde »von einem Korps höherer Beamten ohne echte Führungsqualität geleitet, sodass sie weitgehend unfähig ist, unabhängig und kreativ zu handeln«. Da es Clinton offensichtlich reiche, seine Informationen von CNN zu beziehen, habe die CIA »niemanden mehr, den sie bedienen kann«, schrieb Gentry.
Als stellvertretender Verteidigungsminister hatte Deutch mit Woolsey ein Jahr lang den amerikanischen Nachrichtendienst in dem Bemühen durchleuchtet, einen Waffenstillstand in den ewigen Kämpfen zwischen dem Pentagon und der CIA um Geld und Macht zu erreichen. Sie nahmen sich jeweils ein Thema vor – zum Beispiel die Verbreitung von Atomwaffen –, um letztlich zu dem Schluss zu gelangen, dass noch viel mehr getan werden musste. Was war mit der Spionageabwehr? Nach dem Fall Ames musste sie entschieden ausgebaut werden. Unterstützung militärischer Operationen? Äußerst wichtig. Informationsbeschaffung? Das hieß mehr Spione. Bessere Analysen? Ein ganz entscheidender Punkt. Am Schluss der Überprüfung war klar, dass es überall dringenden Bedarf gab, die diesbezüglichen finanziellen und personellen Ressourcen aber begrenzt waren.
Deutch und Woolsey litten beide an dem bekannten »Der hellste Kopf hier bin ich«-Syndrom. Der Unterschied zwischen ihnen war der, dass Deutch oft tatsächlich der hellste war. Er war Dekan der naturwissenschaftlichen Abteilung und Kanzler des Instituts für Technologie in Massachusetts gewesen; sein Gebiet war die physikalische Chemie, die Wissenschaft von der Transformation von Materie auf der molekularen, atomaren und subatomaren Ebene. Er konnte die Umwandlung eines Kohlebrockens in einen Diamanten erklären. Er nahm sich vor, die CIA mit Hilfe ähnlicher Druckausübung zu transformieren. Bei seiner Antrittsrede hatte er geschworen, den Geheimdienst »bis ins Mark« zu verändern, aber er hatte keine klare Vorstellung davon, wie das zu bewerkstelligen sei. Wie seine Vorgänger holte er sich Rat bei Richard Helms.
Helms, der inzwischen zweiundachtzig war, trat wie ein Mitglied des britischen Hochadels auf. Kurz nach seinem Privatissimum mit dem neuen Leiter aß ich mit ihm in einem Restaurant, zwei Straßen vom Weißen Haus entfernt, zu Mittag. Helms saß unter sich langsam drehenden Ventilatoren, nippte an seinem Bier und teilte mir im Vertrauen mit, dass Deutch instinktiv vom Geheimdienst abrücke, »da er ihn nur als Quelle von Verdruss wahrnimmt. Er ist auch nicht der Erste, der auf Distanz geht. Es fällt ihm nicht leicht, die Geheimdienstler davon zu überzeugen, dass er auf ihrer Seite ist.«
Im Mai 1995, wenige Tage nachdem Deutch seinen Dienst im CIA-Hauptquartier angetreten hatte, überreichten ihm die Oberen des Geheimdienstes im Bewusstsein der Notwendigkeit, sich mit dem neuen Chef gutzustellen, eine Hochglanzbroschüre mit dem Titel: »Eine neue Leitung. Eine neue Zukunft«. Sie enthielt die Liste ihrer zehn wichtigsten Aufgabenbereiche: unkontrollierte Kernwaffen, Terrorismus, islamischer Fundamentalismus, Unterstützung militärischer Operationen, Makroökonomie, Iran, Irak, Nordkorea, Russland, China. Dem neuen Leiter und all seinen Spionen war klar, dass das Weiße Haus sie als persönliches Internet, als Datenbank für praktisch alles benutzen wollte, angefangen vom Regenwald bis zur CD-Produktpiraterie, und dass sein Augenmerk viel stärker in bestimmte Richtungen gelenkt werden musste. »Das Problem ist, dass wir zu viel machen müssen«, sagte Deutch. Wir kriegen Anfragen wie: Was wird in Indonesien passieren? Was wird im Sudan passieren? Was wird im Nahen Osten passieren?« Die Aufgabe, die ganze Welt zu überwachen, ließ sich nicht erfüllen. Konzentrieren wir uns doch auf einige wenige handfeste Ziele, sagten die Spione. Deutch konnte den Streit nicht schlichten.
Stattdessen bemühte er sich fünf Monate lang, den Geheimdienst in den Griff zu kriegen. Er flog zu CIA-Stützpunkten an allen Enden der Welt, hörte zu, stellte Fragen und versuchte herauszufinden, womit er arbeiten konnte. Er sei, sagte er, auf einen »äußerst schwachen Kampfgeist« gestoßen. Die Unfähigkeit der Spione, ihre eigenen Probleme zu lösen, schockierte ihn. Er traf sie in nahezu panischer Stimmung an.
Er verglich sie mit den amerikanischen Soldaten nach dem Vietnamkrieg. Damals, so Deutch im September 1995, seien viele kluge Lieutenants und Colonels übereinstimmend zu dem
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