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CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)

CIA: Die ganze Geschichte (German Edition)

Titel: CIA: Die ganze Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Weiner
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Staaten weltweit versuchten, »allen demokratischen Ländern, die in irgendeiner Form von der UdSSR bedroht oder in Gefahr gebracht werden, Unterstützung und Hilfe zu gewähren«. Zu diesem Zweck müsse das Land Außenpolitik, Militärplanung, wirtschaftliche Hilfsprogramme und nachrichtendienstliche Operationen zu einem neuen, einheitlichen Komplex verschweißen, mit dem Ziel einer Schwächung der Sowjets. Die USA müssten sich an die Spitze der westlichen Zivilisation setzen »und versuchen, unsere eigene Welt aufzubauen«.
    Vandenberg, der Direktor des zentralen Nachrichtendienstes, bekam Wind von Cliffords Vorhaben. Um nicht abgehängt zu werden, bat er, eine Woche nachdem Truman den Clifford-Bericht in Auftrag gegeben hatte, seinen Chefberichterstatter, Ludwell Lee Montague, einen Superhit über die Militär- und Außenpolitik der Sowjetunion zu liefern und ihn bis zum Dienstag auf dem Schreibtisch zu haben. Montague hatte keine kompetenten Mitarbeiter und machte alles allein. In den folgenden 100 Stunden gönnte er sich kaum Schlaf und lieferte termingerecht die erste jemals vom zentralen Nachrichtendienst publizierte Analyse der Sowjetunion. Montague kam zu dem Schluss, dass Moskau zwar einen Zusammenstoß mit der kapitalistischen Welt nicht ausschloss und versuchen würde, seine Machtstellung in den Gebieten hinter dem Eisernen Vorhang zu festigen, nicht jedoch den nächsten Krieg vom Zaun brechen werde und sich in absehbarer Zukunft keinen direkten Konflikt mit den Vereinigten Staaten leisten könne. Seine Mutmaßungen waren auch nicht schlechter als andere. Der Bericht bildete die erste Lageeinschätzung zur Sowjetunion, die erste von hunderten, die allesamt zum besonders schwierigen und unbefriedigenden Teil der CIA-Arbeit gehörten. Wie jede von ihnen konnte sie sich auf nur wenige gesicherte Fakten stützen und war ein Beleg für Sherman Kents Erfahrungssatz, dass »Schätzen genau das [ist], was man tut, wenn man nichts weiß«. Wie ein Stein versank der Bericht in der Tiefe. Er malte Grautöne, wo das Weiße Haus ein Schwarz-Weiß-Bild wünschte. Und er hatte ein fundamentales Manko, denn noch immer weigerten sich Heer, Marine und Außenministerium, den Emporkömmlingen des zentralen Nachrichtendienstes auch nur das Geringste von ihren Gedanken – oder gar ihren Geheimnissen – mitzuteilen. Sherman Kent, »Estimates and Influence«, in: Foreign Service Journal , April 1969. Siehe auch Ludwell L. Montague, General Walter Bedell Smith as Director of Central Intelligence , Penn State University Press, University Park/PA 1992, S.120–123 [im Folgenden CIA/LLM]. Dieser Band ist eine in Teilen freigegebene CIA-Geschichte. Ludwell Lee Montague, »Production of a ›World Situation Estimate‹«, CIA, FRUS Intelligence, S.804–806.
    Es war ein lähmender Schlag. In den folgenden vier Jahren, so schrieb Montague später, misslang es dem zentralen Nachrichtendienst regelmäßig, Truman zu liefern, was er wünschte: Wissen aus allen bekannten Quellen. Das unüberwindlichste Hindernis waren die Militärs. Sie wollten in Eigenregie nachdenken, prognostizieren und Bedrohungen analysieren – nicht anders als heute. Montagues Arbeit war der letzte große Kommentar zur Sowjetunion, den der Nachrichtendienst dem Präsidenten vorlegte, bevor er fast zwei Jahre Pause machte. Die bittere Lektion sollte noch bitterer werden: In Zukunft übte die CIA in Washington nur noch dann Macht aus, wenn sie ihre eigenen unverwechselbaren Geheimnisse gesammelt hatte.
    Clifford dagegen verfügte über den Einfluss, der dem zentralen Nachrichtendienst fehlte. Er hatte das schönste Büro im Westflügel des Weißen Hauses und traf ein halbes Dutzend Mal pro Tag mit dem Präsidenten zusammen. Ihm lieh der Präsident sein Ohr. In seinem Namen erbat und erhielt er die Geheimnisse des Außen-, Kriegs- und Marineministeriums. Der Bericht, den er und Elsey im September ablieferten, konnte in großem Maße von der Arbeit zehren, die die Nachrichtendienstler des Vereinigten Generalstabs bereits geleistet hatten. Doch auch er hatte einen verhängnisvollen Mangel: In der US-Regierung war niemand in der Lage, Moskaus militärische Kräfte und Absichten präzise aufzuschlüsseln. Die besten Informationen über die Sowjets, so Richard Helms 50 Jahre später, hätte die US-Regierung damals in den Bücherregalen der Library of Congress gefunden. Aber Clifford, der aus dem Stegreif arbeitete, tat genau das, was der Zentrale Nachrichtendienst

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