Ciao, Don Camillo
bedeutendes Ereignis. An jenem Tag spielte der Marchese nicht, denn die Marchesa hatte ihm klipp und klar gesagt, daß sie ihn, wenn er sich vor dem Publikum blamieren sollte, für immer verlassen würde.
Und auch am zweiten und dritten Sonntag erschien er nicht auf dem Hauptplatz. Aber am Tag der Kirchweih, als die Kapelle auf dem Podium die Instrumente einstimmte, sah man die Kutsche des Marchese vorfahren: In der Kutsche des Marchese saß der Marchese, und der Marchese hatte die Klarinette bei sich. Inzwischen reiste die Marchesa in Richtung Stadt.
Sie kehrte ein Jahr später zurück, als sie sich überzeugt hatte, daß ihr Gatte eher auf sie als auf die Klarinette verzichtet hätte. Im Grunde war das ein Glück, denn der Marchese fand soviel Freude dabei, daß er glaubte, vom Schöpfer mit besonderen Gaben bedacht worden zu sein, und jene Art von symphonischer Dichtung komponierte, die dann so etwas wie eine Dorfhymne wurde. Sie trug den Titel »Das Lied des Po« und beschrieb den großen Fluß von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Aber eigentlich begann die Beschreibung mit dem Mittag, und das hatte der Marchese richtig bedacht, weil am Morgen ein Fluß nichts zählt und es so ist, als ob er nicht da wäre. Der Fluß ist etwas, das zu Mittag beginnt, wenn die Sonne die Steine glühen läßt und die Hühner den Glocken antworten, welche die Leute von den Feldern in die dunklen und kühlen Häuser zurückgerufen haben. Da beginnt der große Fluß zu existieren, weil er die Einsamkeit braucht und die Stimmen ihn stören. Die Komposition geht vom Mittag aus und beschreibt die majestätische Ruhe der sommerlichen Nachmittage. Dann der Sonnenuntergang: Der Himmel färbt sich rot, und der Fluß hat die Farbe des Himmels. Wäre nicht der dunkle Strich der Uferböschung und der Pappeln, dann wären Fluß und Himmel eins. Die Musik wurde immer feierlicher und dichter. Dann, nachdem die Sonne versunken ist – plötzlich verhaltener und melancholischer. Es ist immer kühl am Abend am Ufer eines großen Flusses, immer kühl, auch wenn das Wetter warm ist.
Hernach singt der Mond seine lange Serenade voller Sehnsucht auf dem Wasser. Und dann folgt eine kleine Pause, weil die Nacht zu Ende ist und ein neuer Tag beginnt. Das Kornett wirft das Kikeriki des Hahns in die Luft. Die Sonne geht bald auf.
Auf dem ruhigen Wasser des großen Flusses gleitet noch, wie ein Schleier des Schlafs, der leichte azurblaue Nebel der Nacht. Dann streckt die Sonne den Kopf hinter dem fernen Pappelzaun hervor und beginnt, golden glänzende Strohhalme aufs Wasser zuwerfen.
Da steigt mitten in einer Wiese die Lerche auf und fliegt hoch in den Himmel, während sie eine Furche ihrer Trillertöne hinter sich zurückläßt. Und das ist der große Augenblick der Klarinette, die sich vom Nebel der Blechbläser befreit und eine lange Notensalve gen Himmel schleudert und die, als sie die Spitze des Pentagramms erreicht, sich dort aufhält, um die allerletzte Note nachklingen zu lassen. Aus der Tiefe setzen die Blechinstrumente massiv ein mit einem Crescendo, das wie der Triumphmarsch aus der »Aida« klingt, aber eigentlich die Hymne des Flusses ist.
Im Dorf gefiel die Sache außerordentlich, und »Das Lied des Po« war das Pflichtstück jedes Konzerts. Den Marchese mochte zwar niemand recht, doch wenn er zum Triller der Lerche kam, wurde er allen sympathisch. Und zumindest, solange er Notensalven gegen den Himmel schoß, verzieh man ihm alles. Auch die Tatsache, daß er ein großer Landbesitzer war und ein Typ, dem man unmöglich ein X für ein U vormachen konnte.
Die Kapelle spielte Jahre und Jahrzehnte, und der Marchese hielt sie stets zusammen. Wenn ein Mitglied verlorenging, zog man ein anderes heran. Durch den Ersten Weltkrieg aufgelöst, formierte sich die Kapelle im Jahr 1920 wieder und machte bis zum Zweiten Weltkrieg weiter. Jedesmal, wenn die Kapelle im großen Saal des Dorfes probte, erschien der Marchese in seinem Auto. Der Fahrer öffnete ihm die Tür und folgte ihm dann mit der verpackten Klarinette in der Hand.
Dann rief der Krieg die Leute zu den Waffen und brachte die Autos zum Stehen. Die Musikkapelle löste sich auf, denn es war eine Zeit, wo eine ganz andere Musik gespielt wurde.
Nach Kriegsende, so etwa im Juli 1945, sah der Marchese einige Rechnungen durch, und man sagte ihm, daß Leute von der Musikkapelle vor der Tür stünden. Er ließ sie hereinkommen und sah sich zwei Alten und dem Falchetto gegenüber, einem Geschöpf von
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