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Ciao Mayer

Ciao Mayer

Titel: Ciao Mayer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Jürgen Schlamp
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aber medizinisch Spitze, fanden jedenfalls seine Patienten. Wer das anders sah, mied ihn nach dem ersten Besuch.
    „Pronto.“
    „Andrea?“
    „Wer sonst? Wenn Sie die Auskunft anrufen wollten, haben Sie sich in der Nummer vertan. Falls Sie aber...“
    „Andrea, hier ist Massimo. Ich bin verletzt.“
    „Oh, Ciao Massimo. Was ist passiert?“
    „Hunde. Hunde haben mich ins Bein und in den Arm gebissen. Oder gekratzt. Ich weiß es nicht so genau.“
    „Was hast du denn gespielt mit ihnen, dass sie so bös’ geworden sind?“
    „Sehr komisch! Mann, ich habe Schmerzen, ich sehe aus, als wäre ich in eine Hunnenhorde geraten und du machst Witze. Toll!“
    „Ist ja schon gut. Wann bist du das letzte Mal gegen Tetanus geimpft worden?“
    „Was weiß ich denn? Du bist doch der Arzt! Kann ich vorbeikommen? Es ist vielleicht nicht so schlimm, aber mir wäre wohler, wenn du es dir anschaust.“
    „Um zwölf kannst du kommen. Okay? Aber Massimo: Zwölf heißt nicht eins! Ich bin kurz nach zwölf weg, zu einem Hausbesuch. Also komm’ pünktlich - oder du kommst vergebens.“
    Massimo war etwas gekränkt. „Hör mal, ich bin immer pünktlich. Wenn nicht...“
    Andrea unterbrach ihn. „Dann ist es ja gut. Also zwölf Uhr! Ciao.“
    Massimo war immer noch leicht beleidigt, als er begann, sich anzuziehen. Als er zur Hose griff, begann er, das Ausmaß der Katastrophe zu begreifen. Er langte nach der Jacke, betrachtete sie kurz und warf beide Kleidungsstücke wütend auf den Boden. Die waren einfach hin! Seine neuen Wildleder-Slipper konnte er auch wegwerfen. Zumindest den Linken. Der sah aus wie eine moderne Plastik. Der rechte war völlig in Ordnung. Aber was machte man mit einem einzelnen Schuh? Die Wahrscheinlichkeit, den anderen jemals ersetzen zu können, war gleich null. Jedenfalls in Rom. Im Kongo, in Kinshasa, hatte er einmal einen Stand auf dem Markt gesehen, wo rechte und linke Schuhe einzeln verkauft wurden. Aber das hätte ihm auch nicht geholfen. Die sahen allesamt nicht besser aus als jetzt sein linker, den er ersetzen musste.
    Er ging zum Kleiderschrank, nahm eine braune Hose heraus, sah sie kurz an und hängte sie wieder auf die Stange. Die hatte er noch nie leiden können. Daneben hing eine blaue, verwaschene Jeans. Einst seine Lieblingshose. Warum hatte er sie bloß so lange nicht getragen? Als er sie anzog, wusste er warum. Sie war gnadenlos eng! Sau eng. Den Knopf bekäme er nie und nimmer zu. Und die Alternative? Die braune? Auf keinen Fall! Die beige ging auch nicht, die war zu kurz. Eine Urlaubshose. Er konnte wohl kaum in kurzen Hosen durch Rom laufen. Also die Jeans. Er zwängte sich hinein, ließ den Knopf offen und schnallte einen Gürtel drüber. So ging es.
    Er machte ein paar Schritte und fühlte sich nicht wirklich gut. Er machte den Gürtel wieder ab, zog ein weites T-Shirt darüber, aber die Hose blieb ungemütlich. Zudem drückte sie auf seine Wunden.
    Die Jackenfrage war noch problematischer. Er hatte zwar zwei Jacketts, aber das eine war braun und hässlich, das andere war hässlich und hellgrün. Wann war hellgrün eigentlich Mode gewesen? wollte etwas in Massimo wissen, aber es blieb ohne Antwort.
    „So geht’s nicht“, sagte er laut und fasste einen Entschluss: Er musste Schuhe, eine Hose, eine Jacke und am Besten ein dazu passendes Hemd kaufen.
    Er setzte die Espresso-Maschine in Gang, holte den Rest Schinken, Salami und Oliven aus dem Kühlschrank, trank, aß alles mitsamt vier Scheiben knochentrockenen Weißbrotes, nahm sich dringend vor, seine Vorräte zu erneuern und räumte ab.
    Als er auf seinen Roller stieg, mühsam, weil ihm Bein und Arm ziemlich wehtaten, hatte er sofort wieder ein mulmiges Gefühl. Unauffällig sah er sich um. Wenn mich einer beobachtet, dachte er, hält der mich für verrückt. Ich benehme mich, wie Richard Kimble auf der Flucht.
    Nach knapp dreißig Minuten war er im Ghetto. Es gab eine Zeit, da mussten alle römischen Juden hier wohnen. Die, die nicht wollten, wurden zwangsweise in das enge, verwinkelte Viertel gekarrt. Und die, die nach dem Hitler-Mussolini-Terror und den Deportationen in die KZs und die Gaskammern noch hier lebten, waren froh darüber.
    Bis heute wohnten viele römische Juden im Ghetto. Es gab unzählige Geschäfte, mit allem und jedem wurde gehandelt, und es ging auf den Straßen zu wie in einem kleinen jüdischen Städtle. Nirgendwo sonst in der Stadt konnte man so gut und so preiswert einkaufen, vor allem Kleidung, war Massimo

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