Ciara
warmer Regen über sie ergoss. Die Aura einer sadistischen Arroganz, die darüber lag wie eine Patina, brachte sie zurück in die Realität. Sie verspürte keine Angst vor der Brutalität des Mannes, der Paul verstümmelt und Fear zu etwas gemacht hatte, das er selbst nicht sein wollte, sondern Hass – eisigen Hass!
Mike und Ciara betraten den Raum, John postierte sich wie ein Bodyguard davor. Obwohl Ciara hätte wissen müssen, was sie erwartete, schloss sie für einen Atemzug die Augen vor Pauls erbärmlichen Anblick.
Er schien zu schlafen. Tiefe rote Ringe gruben sich unter seine Augen ein, als habe jemand mit einem Schaber die obere Hautschicht abgekratzt. Mike wollte auf ihn zugehen, doch Ciara hielt ihn zurück und deutete zur Decke. Er entdeckte die Kameras und schaute zu Ciara. »Und was ist mit dir?«
»Ich habe Magie in mir, hast du gesagt.«
»Ob das hier ausreicht?«
Sie zuckte mit den Achseln und drückte ihn vorsichtig einige Schritte von sich weg, bis er im toten Winkel der Kamera stand. Mike atmete leise die aufgestaute Luft in seinen Lungen aus. Mit einem Brennen im Bauch beobachtete er, wie Ciara zärtlich über Pauls Gesicht strich. Sein Kollege, der nichts mehr von dem einst erfolgreichen Arzt zu haben schien, öffnete die Lider und schloss sie lächelnd wieder, als glaube er zu träumen. Dann aber musste er sich der Realität bewusst geworden sein. Er riss seine Augen auf, in denen Mike Panik erkannte. Mühselig versuchte sich Paul aufzurichten und stützte sich auf einen Ellbogen.
»Verschwinde von hier. Sofort!«
»Ja, und du kommst mit!«
Paul bemühte sich, seine Hand unter der schweren Bettdecke hervorzuziehen. Als es ihm endlich gelang, griff er nach Ciaras Hand. Ihre Finger hakten sich ineinander, als müsse der eine den anderen vor einem tödlichen Sturz bewahren.
Mike schaute zur Tür. John gab ihm ein Zeichen, dass alles in Ordnung war. Er fühlte sich nicht in der Lage, Paul und Ciara weiter zuzusehen, zu sehr schmerzte ihn der Anblick. Doch der Unterhaltung lauschte er.
»Ich bin schwach. Du wirst gewinnen, wenn wir jetzt weitergehen.«
»So wie damals, als ich mich im Strudel deiner Augen verlor.«
»Ja, aber da hätte ich gesiegt.«
»Ich werde dich hier rausbringen und mitnehmen.«
»Wir können nicht lieben, Ciara, nicht so wie sie.«
»Aber du wirst leben.«
»Mein Leben ist hier zu Ende. Wir sind am Ende, sobald unser Körper uns nicht mehr tragen kann. Bei mir ist es so weit, künstlich hervorgerufen zwar, aber dennoch ist es vorbei. Ich spüre es.«
»Hör auf, so zu reden!«
Das nun einsetzende Schweigen veranlasste Mike, erneut hinzusehen, er bereute es sofort; Ciara küsste Tränen von Pauls Wangen. Vorsichtig wich er ihr aus.
»Nicht. – Ich muss dir noch sagen, dass in dir die älteste aller Seelen schlummert, die sich mit Tausenden nach ihr vereint hat und zu einer der Stärksten unter uns geworden ist.«
»Die älteste Seele – von wem? Adam? Lilith? Von einem vorzeitlichen Organismus?«
»Du musst deine in dir verankerten Fähigkeiten dazu bringen, deine gespeicherten Erinnerungen zu aktivieren. Dann wirst du es selbst herausfinden.«
»Es ist so schwer.«
»Mit der Zeit …« Er leckte sich über die Lippen. »Mit der Zeit wirst du alles verstehen und das Wissen und die Weisheit, die in dir schlummern, zu benutzen lernen. Eins aber will ich dir mitgeben, bevor du mich erlöst: Du darfst nie einen von uns lieben, verstehst du? Niemals! Wir können niemanden von der gleichen Art lieben, sonst stirbt der Schwächere.«
»Paul, ich – ich weiß nicht, was du da redest.«
»Wir sind – wie Tiere.«
Die Erschöpfung übermannte Paul, er sank zurück in die Kissen. »Rangordnung, verstehst du?« Seine Stimme brach, doch für ein telepathisches Gespräch fehlte ihm die Kraft, und so wisperte er: »Küss mich jetzt, denn wenn du es nicht machst, wird sich schon bald jemand anderes mit Gewalt das holen, was dir zusteht.«
»Ich kann nicht, Paul!«
»Wir sind keine Menschen, wir sind keine Vampire, wir sind keine Untoten oder Zombies, aber wir haben Fähigkeiten, vor denen die wahren Vampire, die Untoten und die Menschen Angst haben. Bitte, küss mich jetzt. – Bitte!«
Sie weinte, als sie sich zu ihm hinunterbeugte. Mike trat einen Schritt vor, wollte zu ihr, doch schlagartig lud sich die Luft auf, als ob irgendwo ein Blitz eingeschlagen sei. Nervös schaute sich Mike um. Als er wieder zu Ciara und Paul blickte, fühlte er sich angezogen
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