Ciara
Patientin entführt. Unterlagen gefälscht.«
»Also, entführt ist wohl nicht der richtige Ausdruck, oder kommt sie dir verängstigt vor?«
»Darum geht es doch nicht. Ist dir klar, dass die Polizei schon bald auf der Station erscheinen wird, um die Leiche einer gewissen Ciara Duchas obduzieren zu lassen? Wie willst du ihnen das Verschwinden der Toten erklären?«
»Hör mir zu, hör mir einfach nur zu und behalte all das, was ich dir nun sage, für dich.«
»Und wenn nicht?« Mike wusste nicht, was er von dieser Sache halten sollte. Er fühlte sich verraten, enttäuscht, belogen, und er spürte Wut in sich aufsteigen. Paul hatte seine Kollegen betrogen, seinen Chef, und brachte das Krankenhaus in Verruf. Da schien es nichts zu geben, was Mike als Erklärung hätte akzeptieren können.
Paul fuhr sich durch die Haare. Er schien nervös. »Das wirst du dann merken.«
Mit der Faust schlug Mike auf den Boden. »Willst du mir drohen?«
»Ciara ist etwas Besonderes, ich musste sie aus dem Krankenhaus schmuggeln. Glaube mir, Mike. Bitte!«
Mike wischte sich über sein Kinn. »Was heißt das – etwas Besonderes? So besonders, dass du deinen Job aufs Spiel setzt und deine Kollegen belügst?«
Paul nickte.
»Ich kann das nicht glauben: nicht für eine Frau.«
»Stopp. Hier geht es nicht um ein kurzes Abenteuer, nicht um Sex. Klar? Hier geht es um mehr. Viel mehr! Aber das kannst du mit deinem Erbsengehirn vermutlich nicht mal annährend erfassen.«
»Drehst du jetzt vollkommen durch?« Mike tippte sich mit einem Zeigefinger vor die Stirn. »Dann sag mir doch bitte schön, was so Wunderbares an dieser Frau ist. Gut, sie ist schön, kein Zweifel, anscheinend ist ihr Körper auch zu vielem in der Lage.« Er beugte sich ein Stück nach vorne, um Ciaras Hals näher zu betrachten. »Wie ist das möglich? Das sollte öffentlich gemacht werden. Vielleicht kann aus ihren Genen etwas gewonnen werden, das anderen Menschen hilft.«
»Niemals!« Paul beugte sich zu Mike hinüber. »Ihre Gene besitzen eine Veranlagung, die ihren Körper schneller heilen lässt. Das stimmt. Aber dies öffentlich zu machen, brächte ihr fürchterliche Qualen.«
»Und wofür braucht sie noch Transfusionen?«, fragte Mike und zeigte auf die Kanüle an Ciaras Hand.
»Sie benötigt mehr Blut als jeder andere von uns.«
»Wie Dracula?!« Mike lachte laut auf. Doch Pauls ernste Miene brachte ihn zum Schweigen.
»Sie ist ein Vampir?«, stellte Mike die Frage in den Raum, schüttelte den Kopf und gab sich selbst eine Antwort: »Nein, sie ist kein Vampir, sie atmet ja.« Er starrte Ciara an. »Oder ist sie ein besonderer Vampir? Ein lebender?« Er lachte und stoppte verwirrt, als er Pauls Gesichtsausdruck sah.
»Wenn du zu jemandem etwas sagst, muss ich dich töten.«
Mike zuckte zusammen. Er wusste nicht, was ihn mehr schockierte: die Worte selbst oder der unmissverständliche Ernst, mit dem Paul sie vorgebracht hatte. »Was? Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?«
»Sie ist …«
Ciaras Kopf ruckte hin und her wie bei einem Tennismatch, um dem imaginären Ball zu folgen, den sich Paul und Mike abwechselnd zuspielten. Als ihr die Tie-Breaks zu sehr auf die Nerven zu drücken schienen, erhob sie sich und sagte beiläufig: »Ich gehe.«
»Okay –«, waren sie sich einig, stutzten, starrten sich verblüfft an und daraufhin hoch zu Ciara.
»Damit ihr in aller Ruhe über mich reden könnt, gehe ich lieber.« Sie wirkte erschöpft und traurig, doch innerhalb von Sekunden verwandelte sich die junge Frau zu einer wütenden Furie: »Paul, was redet du da eigentlich? Du wirst niemanden umbringen, nicht, solange ich das verhindern kann.«
Dann wandte sie sich an Mike: »Ich habe keine Ahnung, wie du es gemacht hast, aber dringe nie wieder in mein Haus ein.«
»Ich bin nicht in dein Haus eingedrungen, ich hab doch nur …« Er verstummte, als ihm bewusst wurde, was sie meinte. Und auch Ciara schien klar geworden zu sein, was sie soeben gesagt hatte. Ihre Augen weiteten sich vor Schreck.
»Das hast du also eben gelesen? Er war der Eindringling?« Paul schaute fassungslos und schüttelte den Kopf, als hoffe er auf ein Nein.
»Das war ein Traum, mein Traum. Woher weißt du davon?« Mikes Blick wanderte über Ciaras Gesicht. Der Feuerschein zauberte einen mystischen Schatten auf ihr Gesicht, ihr Haar wirkte nun dunkler. Die Ausstrahlung dieser Frau überraschte ihn, die Kraft, die von ihr ausging, trotz alldem, was sie erst vor Kurzem erlebt
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