Ciara
sind wir eine Art Vampire, ja, aber wir reißen keine Lämmer oder laben uns an Menschen, zumindest …« Paul stoppte.
Mike schüttelte den Kopf. »Das ist alles vollkommen verrückt.«
»Entschuldigung, aber könnten mir die Herren Mediziner erklären, was XP ist?« Ciara fühlte sich, als sei sie mit dem Fuß in eine Felsspalte gerutscht. Nur eine Vor-Ort-Amputation hatte ihr Leben retten können und nun musste sie lernen, mit der Veränderung zu leben. Doch sie hatte nicht nur etwas verloren, sondern unendlich viel gewonnen, was ihr aber nicht als Geschenk, sondern als wachsendes Geschwür erschien. Sie ahnte, dass Pauls Erklärung ihr Leben weiter veränderte und ihr neues quälendes Wissen vermitteln würde.
»XP, also Xeroderma pigmentosum, ist eine Erbkrankheit, bei der dein Körper nicht in der Lage ist, deine Haut vor Sonneneinstrahlung zu schützen. Je nach Schweregrad kommt es zu starken Verbrennungen, zu Hautkrebs und – bei genetisch normal veranlagten Patienten – zum frühzeitigen Tod. Das hiesige Klinikum ist das einzige in Deutschland, das dieses Serum herstellt und die Krankheit erforscht.«
Wieder spürte sie seinen Blick über ihr Gesicht wandern, als ob er ihre Sommersprossen zählte.
»Auch du wirst es jetzt brauchen.« Ciara sah ihre Befürchtungen bestätigt. In diesem Moment sehnte sie sich nach ihrer Mutter, die ihr den Rücken stärken und tröstend übers Haar streichen würde. So strich sie sich nur eine störrische Strähne aus dem Gesicht und spürte, wie sich Hilflosigkeit und Angst in Wut umwandelten. Vielleicht gehörte der Tod ihrer Mutter zu den Intrigen einer höheren Macht?
»Soll das heißen, dass du über Jahre hinweg das Serum geklaut hast?« Mike schien entsetzt über das Vergehen seines Kollegen.
»Welche Chance hätte ich sonst gehabt? Als Arzt hatte ich die Möglichkeit dazu. Als Patient wäre ich draufgegangen. In meinen Chromosomen gibt es unnatürliche Drehungen und Verzweigungen.«
»Und in deinem Gehirn auch«, flüsterte Mike. »Was noch?«, hakte er nach.
»Eine ebenfalls vererbte Anämie.«
Einige Atemzüge lang herrschte Stille. »Aha, und das hat Ciara auch? Und daher braucht ihr Körper mehr Blut?«, mutmaßte Mike. Seine Augen waren vor Erstaunen geweitet. »Reicht nicht eine zusätzliche Gabe von Eisen oder Vitamin B 12?«
Paul schüttelte den Kopf. »Nein, beide Formen dieser Erkrankung sind nicht erforscht. Es soll ein Institut in Amerika geben, das diese Art, die stets in Zusammenhang mit parapsychologischen, telepathischen und empathischen Fähigkeiten auftritt, untersucht. Ich war aber selbst noch nie dort. Allerdings bin ich auch von der Seriosität dieses Hauses nicht überzeugt.«
»Telepathie? Aha – also auch Manipulation?«, fragte Mike.
»Möglicherweise«, bestätigte Paul.
»Wie hast du das gemacht?«
»Was?«
»Die Intensivstation durcheinandergebracht«, antwortete Mike.
»Das hast du also rausbekommen?«
»Ich zähle nur eins und eins zusammen.«
»Als das Frettchen auftauchte, musste ich die gesamte Belegschaft in eine Art Schlaf schicken, ansonsten hätte ich Ciara und das Tier nicht unbemerkt rausbekommen. Ich hoffe, du hast nicht zu sehr darunter gelitten.«
»Gelitten? Ich hatte einen regelrechten Filmriss. Ganz zu schweigen von den anschließenden Albträumen. Wobei ich mich inzwischen frage, ob das wirklich Träume waren oder telepathisch übermittelte Bilder?!«
Ciara wechselte mit Paul einen raschen Blick, den Mike übersah, weil er seinen Kopf in den Händen vergrub und vor sich hin murmelte: »Ich weiß nicht, ob ich das decken kann. Ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Ehrlich gesagt glaube ich, dass ihr beide vollkommen verrückt seid.«
Nur mit größter Anstrengung gelang es Mike, sich an diesem Tag auf die Arbeit zu konzentrieren. Seine Phantasie verknüpfte sich mit seinem neuen Wissen und den lebhaften Träumen. Die Gedanken, die dabei entstanden, versetzten ihn in Aufruhr, aber – und das musste er sich selbst eingestehen – weckten auch seine Neugier.
In einer kurzen Arbeitspause loggte er sich in den Computer des Labors ein und veränderte die Bestände. Er glaubte, aus freien Stücken zu handeln, aber vielleicht hatte Paul ihn auch manipuliert? Oder Ciara?
Wo mochte Paul seine Fähigkeiten anwenden? Möglicherweise beruhten all die medizinischen Erfolge seiner Karriere doch nicht nur auf seinen hervorragenden ärztlichen Talenten, sondern vielmehr auf seinen
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