Ciara
Currywurst mit Bier hinunterspülten.
Als er den Wagen am Straßenrand parkte, schälte sich ein junges Mädchen aus der Menge, das sich suchend umschaute. In den schwarzen Haaren, die wie bei Ciara bis zur Taille reichten, bewegten sich eingeflochtene violette und rote Rastazöpfe wie dünne Schlangen. Sie eilte um den Imbissstand herum und verschwand aus Pauls Sichtfeld. Er stieg aus und folgte ihr lautlos. Der Geruch des Mädchens, süß und anregend, überdeckte den Dunst von heißem Fett und vernebelte Pauls vom Hunger gequälten Sinne.
Die Temperatur musste um wenige Grad angestiegen sein, sodass die Wege feucht und glitschig, aber nicht mehr glatt waren. Paul begann zu schwitzen.
Die anderen Teenager bemerkten das Verschwinden des Mädchens nicht, sie lachten und unterhielten sich lautstark.
Zwischen Tonnen, aus denen der Müll quoll, hockte sie auf einer verrotteten Holzkiste. Der Fäulnisgestank drängte sich in Pauls Nase, belegte seine Zunge und schien sich in jede Pore seines Körpers zu pressen. Er würgte. Durch die sich verstärkende Anämie und die dadurch erhöhte Sensibilität nahmen seine Sinne die Umgebung intensiver wahr. Er dachte an das Blut in seinem Wagen, aber ihm fehlten die Kraft und der Wille, sich von dem jungen Mädchen abzuwenden. Ihre Haut schimmerte silbrig im Mondlicht – oder bildete er sich das ein? Paul kämmte sich mit den Fingern durch die Haare. Geräuschlos näherte er sich ihr. Sie bemerkte ihn nicht. Auf ihrem Schoß lag ein Spiegel in der Größe einer Zigarettenpackung, auf den sie ein weißes Pulver streute. Mit fahrigen Bewegungen formierte sie es mit dem langen, lila lackierten Fingernagel des rechten Zeigefingers zu einer Linie; anschließend zog sie einen Geldschein aus ihrer Jackentasche und rollte ihn zusammen. Doch bevor sie mit dem Kokain ihr Gehirn versengen konnte, fegte Paul den Spiegel mit der rechten Hand fort. Scheppernd landete er in einem Abfallberg.
»Das brauchst du jetzt nicht mehr.« Seine Stimme klang rau. Das Mädchen schaute erschrocken auf. Paul fing ihren Blick auf, und die grünen Augen des Mädchens verloren jegliche Klarheit. Kein Schrei kam über ihre Lippen, stumm wartete sie auf ihr Schicksal. Ein letztes Mal blitzte Pauls Verstand auf, er dachte für Sekunden an Ciara, aber der Hunger war stärker. Er richtete seine volle Aufmerksamkeit auf das Mädchen. Unter seinem suggestiven Augenspiel wurde sie willenlos, ihr Körper sackte in sich zusammen.
Mühelos drang er in ihren Geist ein, beherrschte ihn, als verforme er Knetmasse. Er wollte sie nicht in einen Hypnose-Schlaf schicken, wie er es mit den Kollegen der Intensivstation gemacht hatte, um Ciara aus dem Krankenhaus zu schaffen. Gäbe er ihren Willen jetzt frei, fiele ihre Psyche so tief, dass die geistigen Verletzungen entweder irreparabel sein würden oder aber sie für ewig von Drogen geheilt wäre.
Er spielte wissentlich russisches Roulette auf telepathischer Ebene. Aber die weibliche Süße hielt ihn gefangen und blockierte sein rationales Denkvermögen. Das in ihren Adern warm pulsierende Blut schien ihm zuzuraunen:
Nimm mich, trink mich.
Er schluckte, Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Sein Unterbewusstsein kämpfte gegen die Gier an, wollte ihn fortzerren, aber seine Sucht drückte ihn näher an das Mädchen heran. Ihre Augen, weit aufgerissen, starrten in die Ferne. Der Mund: leicht geöffnet, blutrot.
Blut.
Paul leckte sich über die Lippen.
Er brauchte Blut.
Rasch.
Beinahe zärtlich strich er ihr die geflochtenen Haarsträhnen aus dem Gesicht, drückte ihren Kopf zur Seite. Er zog eine spitze Punktiernadel aus der Hosentasche und stach in die Haut über der Halsschlagader. Seufzend gab er sich seinen Urinstinkten hin. Er schloss die Augen und stöhnte lustvoll auf, als er den metallischen Geschmack des Blutes auf seiner Zunge spürte. Mit der linken Hand hielt er das Mädchen an ihrem Arm fest. Seine Rechte streichelte ihm fürsorglich über das Haar. Wie ein Baby an der Brust seiner Mutter saugte Paul am Hals des Mädchens. Plasma und Blutkörperchen verteilten sich in seinem Inneren und gaben ihm allmählich seinen Verstand zurück. Etwas brachte sein Trommelfell zum Vibrieren, ein Geräusch, das schrille Klingeln seines Handys. Paul riss die Augen auf. Seine Kopfhaut zog sich zusammen, als ihm bewusst wurde, auf welche Weise er seine Gier stillte. Er ließ von dem Mädchen ab und stolperte rückwärts. Das Schellen verstummte, nur um wenige
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