Ciara
gequält. »Dann muss ich mich bei ihr bedanken?!«
Paul schwieg.
»Seit wann weißt du es?«, fragte Mike.
»Was? Dass ich anders bin?«
Mike nickte.
»Seit ich vier bin, meide ich die Sonne. Mit fünf reagierte ich mich beim Karate ab, später folgten Taekwondo, Aikido und Ju-Jutsu. Mit sechs brauchte ich meine erste Bluttransfusion.«
»Warum? Ein Unfall?«
»Nein. Ich gierte nach Blut. Ich trank Ketchup, weil ich dachte, das sei das Gleiche. Aber es hat natürlich nichts genützt, und so bin ich auf die Idee gekommen, aus der Küche unseres Heimes rohes Fleisch zu klauen.«
»Rohes Fleisch? Hast du das gegessen?« Augenblicklich bereute Mike die Frage.
»Nein, ausgelutscht.«
Mike riss seine Augen weit auf, sein Mund öffnete sich leicht, etwas regte sich in seinem Inneren und suchte sich den Weg durch die Speiseröhre nach draußen.
»Halt an!«, brüllte er, warf das protestierend pfeifende Frettchen auf den Boden und sprang aus dem Wagen, noch bevor Paul ihn ganz zum Stillstand gebracht hatte. Mike stürzte an den Straßenrand und erbrach sich mehrmals, bis er eine Hand auf seinem Rücken spürte.
Der kleine Iltis nutzte die Pause, eilte hinter Mike her, leerte seine Blase und wuselte zurück in den Beifahrerfußraum.
»Du wolltest es wissen.«
Die rechte Hand als abwehrende Geste erhoben, setzte sich Mike zurück ins Auto. Er hatte für dieses Mal genug gehört. Vorsichtig nahm er das Frettchen hoch. Schweigend fuhren sie weiter und erreichten zehn Minuten später den bemalten Imbisswagen.
»Hunger?«
Mike schüttelte den Kopf.
»Ich aber. Nachholbedarf.«
Bevor er diesmal ausstieg, zog er sich die Kanüle aus der Handvene und versteckte sie zusammen mit dem leer gelaufenen Blutbeutel unter seinem Sitz.
Wenig später kehrte er mit zwei vegetarischen Dönern, zwei großen Portionen Pommes und einem Schälchen Reis zurück. Er setzte sich auf den Fahrersitz und schob Mike seine Portion zu. Die Reisschale stellte er auf den Fußboden des Rücksitzes und setzte das Frettchen davor, das gierig darüber herfiel.
»Ich wollte doch nichts essen.«
»Dein Kopf hat mir etwas anderes mitgeteilt, also iss! Wir brauchen unsere Kräfte.«
Sie aßen schweigend, bis Mike die Stille unterbrach: »Du bist im Heim aufgewachsen?«
Paul nickte, kaute den Bissen zu Ende, schluckte lautstark und erklärte: »Ja. Ich kenne meine Herkunft nicht. Man hat mich eingewickelt in einem Laken vor einer Kirche gefunden.«
»Klingt mystisch.«
»Nee, absolut nicht. Einsam.« Ein Salatblatt fiel aus Pauls Döner auf seinen Schoß. Schnell pflückte er es auf und schob es in den Mund.
»Aber du hattest Freunde, oder nicht?«
»Hättest du dich als Kind mit mir eingelassen?«
Mike dachte kurz darüber nach. »Vermutlich nicht. – Echt lecker, die Soße ist klasse«, sagte er und zeigte auf den Döner. Einige Minuten später fügte er hinzu: »Und Ciara?«
»Was soll mit Ciara sein?«
»Sie ist was Besonderes.« Mike grinste breit.
Paul schaute skeptisch: »Lass die Finger von ihr!«, dann lächelte er. »Bei ihr ist es ähnlich, nur dass sie stets gut betreut war und somit niemals ihren Körperhaushalt mit Blut regulieren musste. Aber auch sie hatte nie wirkliche Freunde. Was bei ihr aber an ihrer Ausstrahlung, Schönheit und dieser Einzigartigkeit liegt. Die Menschen scheuen das Andersartige, egal ob es besonders schön oder hässlich ist.«
»Ich weiß«, stimmte Mike ernst zu.
»Du?«
»Ich war in der Grundschule ein kleiner, dicker, hässlicher Fratz und das Ziel jeder Gang. Diese Blessuren«, er deutete auf sein Gesicht, »gehörten als Knirps zu meinem Alltag.«
Damit sie nicht weiterhin ziellos durch die Stadt kurvten, unternahm Paul einen neuen Versuch, Ciaras Spur wiederzufinden. Er legte all seine telepathische Kraft hinein und stieß einen kurzen, leisen Schrei aus, als er ihre Gefühle so deutlich und überraschend schnell empfing, als säße sie neben ihm – sterbend und all ihre Energie verlierend. Um keinem Emotionsoverkill zu erliegen, blockierte er einige seiner Sinne.
»Was ist los?«, fragte Mike erschrocken.
»Ciara – es stimmt was nicht. Irgendwas bedrängt sie. Sie hat Angst, verschließt sich mir nicht mehr und ihre Sinne leiden.«
Die Straßen lagen nun beinahe verlassen vor ihnen. Wenige Scheinwerfer blitzten auf und reizten Pauls Pupillen. Er gab Gas und brauste dem Ziel entgegen, das er so klar vor Augen sah, als sei es taghell.
Ohne Vorwarnung begannen seine Hände stark
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