Ciara
dich, oder?«
»Du bist ein von Neid zerfressener Blutsauger.«
Paul antwortete nicht, sondern überging die Bemerkung, indem er sich seine Jacke auszog.
»Kannst du dich nicht mehr daran erinnern, wie das Haus aussah oder an welcher Stelle der Film abriss?«, wechselte Mike das Thema.
Für einige tiefe Atemzüge überlegte Paul, dann schüttelte er den Kopf.
»Lass uns zur Polizei gehen!«, bat Mike. »Wir denken uns eine Erklärung und einen guten Plan aus. Ciara könnte ja ihre eigene Zwillingsschwester sein.«
»Das glauben die auch. Nein! Er wird sie nicht töten. Das hätte er schon längst getan. Er will irgendetwas anderes von ihr.«
»Und wenn er sie erneut missbraucht, misshandelt? Du weißt selbst, wozu so ein Psychopath imstande ist. Was können wir also noch machen?«
Ein junger Kellner brachte die Getränke und teilte ihnen mit, das Essen käme sofort. Und noch bevor sie das Gespräch vertiefen konnten, balancierte eine ältere Frau – die Jüngere schien Mike mit seinen Blessuren tatsächlich verschreckt zu haben – zwei Teller auf den Handflächen an ihren Tisch heran. Die gemischte Gemüseplatte, die Mike bestellt hatte, stellte sie vor Paul. Den deftigen Schweinebraten mit einer doppelten Portion Klöße ordnete sie Mike zu und wünschte einen guten Appetit. Die beiden Männer lächelten ihr freundlich zu, bedankten sich und tauschten die Teller, nachdem die Kellnerin ihnen den Rücken zugedreht hatte.
»Dass du bei deiner Ernährung nicht zunimmst«, bemerkte Mike.
»Liegt an der Art des Stoffwechsels.«
Sie aßen schweigend und überdachten die Möglichkeiten, die sie hatten, um Ciara zu helfen, bis Paul das Besteck aus den Händen rutschte und scheppernd auf dem Teller landete.
Ciara leistete keinen Widerstand, als der Unbekannte sie in einer düsteren Ecke zu Boden drückte. Brutal zerrte er ihre Arme nach vorne und fesselte sie an ein Heizungsrohr. Von der Stahlkette blätterten braunrote Rostpartikelchen ab, die in Ciaras dünne Haut stachen. Sie hockte auf dem kalten, staubigen Steinboden, im Rücken den schweren Rucksack, den sie als Lehne benutzte. An die Dunkelheit, die im Keller herrschte, gewöhnte sich Ciara rasch. Seit ihrer Geburtstagsnacht schien die Fähigkeit, in der Dunkelheit sehen zu können, stärker und ausgeprägter. Indem sie einen Wall um ihre Gedanken, das innere Auge und ihr Zentrum zog, schützte sie sich vor
seinen
und Pauls telepathischen Aktionen. Sie wollte verhindern, dass Paul sie in dieser Situation aufstöberte und Mike und sich selbst in Gefahr brachte.
»Wie geht es dir, meine Liebste?« Seine Stimme klang tief, das ›R‹ rollte er in der Kehle. Ciara hörte ihn das erste Mal sprechen, vor Überraschung und Angst wusste sie keine Antwort. Vollendete er nun sein Werk, das er wenige Nächte zuvor begonnen hatte? Aber war dies nicht genau das, was sie anstrebte, was sie hierher und in diese Situation gebracht hatte?
Sie starrte ihn nur an. Er hockte sich eine Armeslänge von ihr entfernt hin, sein unter der Kapuze verborgenes Gesicht schien in ihre Richtung zu zeigen. Tatsächlich glaubte sie zu spüren, wie seine gierigen Blicke sich durch die Kleidung brannten und Löcher in ihren Körper bohrten. Sie schwiegen, bis er endlich aufstand und fragte: »Ah, es hat dir die Sprache verschlagen. Das liegt doch hoffentlich nicht an mir?«
Ciara antwortete nicht.
»Wo ist dein bissiges Frettchen?«
Jetzt fand Ciara ihre Stimme wieder. »Wer bin ich?«
In seiner Antwort schwang Überraschung mit: »Du weißt nicht, wer du bist? Und bist mir dennoch gefolgt?«
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.« Noch hielt sie ihre Wut zurück.
»Meine Liebste, ich werde sie dir auch nicht beantworten.«
»Du musst, hast du mich verstanden!?«, donnerte Ciara, dann leiser und flehend: »Bitte, sag mir, wer ich bin.«
Sein grausiges Lachen hallte von den Wänden zurück. Ciara fröstelte.
»Vielleicht später.«
»Warum lässt du mich nicht in Ruhe? Hast du mir nicht schon genug angetan?«
»Es ist ein netter Zeitvertreib, dir Visionen und Gefühle vorzugaukeln. Zumal du ja deine Fähigkeiten nur bedingt einzusetzen weißt.«
»Vielleicht irrst du dich da!?«
»Ich habe schon Schlimmeres überstanden. Aber wir beide wissen, dass ich mich nicht irre.« Er baute sich vor ihr auf, hob die Arme empor und fuchtelte damit herum, dabei machte er Geräusche wie ein Kind, das sich zu Halloween als Gespenst verkleidete, um seine Freunde zu erschrecken.
»Die
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