Ciara
ein bisschen. Vermutlich krieg ich ’ne Grippe oder so was.«
»Hast du dich nicht impfen lassen?«
»Wogegen?«
»Influenza?!«, entgegnete Stephan.
»Das brauche ich nicht. Ich war noch nie krank.«
»Schon klar. Komm, ich nehme dich mit rauf, wir machen eine Blutprobe, und ich gebe dir Antibiotika. Wir haben im Krankenhaus nämlich extreme Ausfälle und über 15 Grippe-Patienten mit schwerem Verlauf, die auch alle meinten, sich nicht impfen lassen zu müssen.«
Fürsorglich legte Stephan eine Hand auf Pauls rechtes Schulterblatt und schob ihn aus dem Flur zum Aufzug. »Du zitterst ja am ganzen Leib!« Als wolle er ihn wärmen, legte er einen Arm um Pauls Schultern.
Paul wusste, dass ein Blutbild seine spezielle Form der Anämie und der XP zum Vorschein bringen und ihn vom Arzt zur Laborratte degradieren würde. »Mir geht es wirklich gut«, erklärte er hastig und versuchte, sich aus der freundschaftlichen Umarmung herauszuwinden. Doch seine verbliebene körperliche Kraft reichte nicht aus und eine gedankliche Manipulation kam in seinem Zustand nicht infrage.
Das schnarrende Geräusch beim Schließen der Fahrstuhltüren, der surrende Ton des Aufzugs, als dieser sich in Bewegung setzte, das Stoppen auf der Etage – wie das einmalige Aufstampfen eines wütenden Elefantenbullen – und schließlich das Öffnen der Türen dröhnten in seinem Kopf. Selbst die Handbewegung einer Krankenschwester, die ihnen zuwinkte, verband Paul mit einem knirschenden Geräusch, als schwinge ein rostiges Scharnier. Alle Laute schwollen zu einem nicht enden wollenden Crescendo an: Stephan, der einen verlassenen und wie für ihn abgestellten Rollstuhl zu sich heranzog und Paul hineinsetzte, das geräuschvolle Öffnen der automatischen Türen, überlaute Gesprächsfetzen, das Klappern von Geschirr, Schreie einer in den Wehen liegenden Mutter …
Ein lautes Spektakel überall um ihn herum, viel zu schrill.
Nur Mike konnte ihn jetzt noch hier rausholen. Mike oder Ciara.
6. Tag
Ein Kitzeln an den empfindlichen Nasenlöchern weckte Mike aus seinem tiefen, traumlosen Schlaf. Mit einer flachen Hand fuhr er sich durchs Gesicht und hoffte, so den Verursacher fortzuwischen. Doch dieser blieb unbeeindruckt und setzte seine Versuche fort, Mike aufzuwecken. Widerwillig öffnete er die Augen, zwinkerte, schloss sie noch ein letztes Mal und blinzelte müde in das freche Gesicht des Frettchens, das seine Nase an Mikes rieb. Er hob seinen rechten Arm und streichelte den kleinen Iltis, seine bleiernen Augenlider klappten zu und er dämmerte wieder weg.
Aber das Frettchen hatte andere Pläne. Es leckte Mikes Nase mit seiner rauen Zunge ab und stupste ihn beharrlich an.
Als all diese Bemühungen nicht wirkten, biss es zaghaft, aber wirkungsvoll in die Nasenspitze. Schnell huschte es zur Seite, als Mike sich abrupt aufrichtete. Er fluchte lautstark und betastete seine Nase, auf der ein Abdruck der spitzen Zähne zu fühlen war, jedoch kein Blut. »Spinnst du?«, fauchte Mike böse und rückte seine Brille zurecht.
Als Antwort schaute der Iltis beinahe beschämt zu Boden. Müde warf Mike einen Blick auf seine Armbanduhr und stellte verblüfft fest, dass er zwölf Stunden geschlafen hatte.
Wo steckte Paul?
Ciara lag ausgestreckt auf dem Rücken, ihre Hände ruhten links und rechts neben ihr. Für einen erschreckenden Moment glaubte Mike, sie sei tot. Er hielt seine flache Hand gegen ihren Mund und Nase und lächelte erleichtert, als er Ciaras kühlen Atem auf seiner Haut spürte. Langsam setzte sich Mike auf den Bettrand. Sein ganzer Körper schmerzte, der verstauchte Knöchel pochte.
Aus seiner Jackentasche zog er das Medikamentenröhrchen und sein Handy. Zuerst steckte er sich zwei Tabletten in den Mund, zerkaute sie so klein wie möglich und würgte den sauren Brei die Speiseröhre hinunter. Dann versuchte er, Paul telefonisch zu erreichen. Doch noch bevor er die Nummer eintippen konnte, zeigte das Display seines Handys an, dass der Akku leer war.
»Mist!« Mike schaute dem Frettchen hinterher, das aus dem Raum hinausrannte. Ohne wirklich zu wissen, was er sich davon versprach, folgte Mike dem Tier, das im Flur auf ihn wartete. Als es ihn erblickte, durchquerte es das Foyer und hüpfte auf eines der ersten Tischchen. Schon von Weitem erkannte Mike, dass dort ein Telefonhörer lag. Erstaunt starrte er das Tier an, griff nach dem Hörer und wählte Pauls Mobilnummer.
Nach wenigem Schellen ertönte die Mailbox.
»Verdammt, Paul,
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