Ciara
wo steckst du denn? Melde dich! Sofort!« Mike legte auf. Er erhaschte einen Blick auf die zwei Gemälde. Langsam humpelte er darauf zu und musterte flüchtig das Gemälde, auf dem Ciara als Kind zu sehen war. Bei Betrachtung des aktuellen Porträts verlor er jegliches Zeitgefühl und hätte selbst einen Bombeneinschlag unmittelbar neben sich erst dann registriert, wenn Trümmer und Splitter Ciaras Porträt zerfetzten. Das Bild erinnerte ihn an eine Geschichte von Oscar Wilde, die er als Teenager wiederholt gelesen hatte: Dieses Gemälde musste mit ähnlichen Farben gemalt worden sein wie
Das Bildnis des Dorian Gray.
Es zeigte das exakte Abbild von Ciaras derzeitig miserablem Zustand. Niemand außer Paul und ihm hatte sie so gesehen und wäre in der Lage gewesen, ihr Aussehen entsprechend festzuhalten.
Mike näherte sich bis auf Armeslänge der Staffelei und empfand das Verlangen, über die Farben zu streichen. Doch bevor er dazu kam, spürte er einen schmerzhaften Biss in seinem Daumen. Das Frettchen hatte ihn gebissen und flüchtete in Ciaras Zimmer. Fluchend eilte Mike mehr hüpfend als laufend hinterher, dabei drückte er den blutenden Daumen fest an den Bauch.
Der Iltis hockte auf Ciaras Brust und starrte Mike mit großen, runden Augen auffordernd entgegen.
Als Mike erkannte, was das Frettchen in Gang gesetzt hatte, spürte er, wie sich seine Gesichtsmuskeln lockerten und seine Kinnlade hinunterklappte. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Dennoch setzte er sich neben Ciara auf das Bett und träufelte ein paar Tropfen Blut aus seiner Wunde auf ihre farblosen Lippen, die sich sofort in ein sattes Rot verfärbten. Mit der Kante der gleichen Hand drückte Paul Ciaras Kinn ein Stück nach unten, sodass sein Blut in ihren Rachen rann. Er hoffte, dass der Schluckreflex einsetzte und sie nicht erstickte. Die Wunde schloss sich bereits wieder, also presste er darauf, verzögerte den Heilungsprozess und verabreichte Ciara eine weitere Dosis. Nervös schaute sich Mike im Zimmer um, dabei entdeckte er Ciaras Rucksack, den er in der Nacht achtlos in eine Ecke gestellt hatte.
Er suchte nach einem Taschentuch oder Ähnlichem, um die Blutung zu stoppen. Da er weder auf Ciaras Nachttisch noch in seiner Jacke etwas fand, steckte er seinen Daumen in den Mund und lutschte das Blut ab. Dann griff er nach dem Rucksack und schüttete den gesamten Inhalt auf den Boden. Die halb leeren Beutel mit geronnenem Blut würdigte er lediglich eines kurzen, resignierten Blickes. Er schob Tiegel und Flaschen zur Seite, um an die darunter liegenden sterilen Tücher, Kanülen und Schläuche zu gelangen.
Mithilfe seiner Zähne riss er die Verpackungen auf und platzierte deren Inhalt nebeneinander auf dem Boden. Seine Jacke behinderte ihn, er zog sie aus und warf sie auf das Fußende des Bettes. Anschließend begann er, die Bandage, die seinen Arm in der Gipsschale stabilisierte, bis knapp oberhalb der Armbeuge abzuwickeln. Er desinfizierte die Haut über der Vene, stach eine Kanüle hinein und eine zweite in Ciaras Arm. Seine Hand zitterte leicht, als er das eine Ende des Schlauches bei sich ankoppelte, zaghaft das andere in den Mund steckte und daran sog. Sofort schoss Blut hinein. Rasch klemmte Mike den Schlauch bei Ciara an. Lautlos bedankte er sich bei Paul, der Kanülen eingepackt hatte, bei denen sich die Transfusionsmenge regulieren ließ. Das Rädchen an seiner Kanüle stellte er auf minimal ein.
Müde hockte er neben Ciara auf dem Bett, prüfte seine Blutspendenaktion und überlegte, ob er jemals wieder in sein normales Leben zurückkehren würde. Das Frettchen kroch zu ihm auf den Schoß und blinzelte ihm zu, als wollte es sagen:
Gut gemacht!
»Hast du auch einen Namen?« Es antwortete ihm natürlich nicht, rollte sich zusammen und erweckte einen sehr zufriedenen Eindruck.
Über eine halbe Stunde schlief Mike im Sitzen, dann kippte sein Oberkörper zur Seite und legte sich über Ciaras Bauch. Das Frettchen beobachtete den Schlauch, durch den kontinuierlich Blut floss und Ciara Lebensenergie spendete. Es wachte über den Schlaf der beiden Menschen. Ciaras Atmung beschleunigte sich, die zunächst noch fahle Gesichtshaut nahm eine rosige Farbe an. Ein leises Stöhnen entwich ihren Lungen, aber außer dem Frettchen nahm dies niemand zur Kenntnis. Es setzte sich auf, kauerte auf Mikes Schoß und starrte Ciara erwartungsvoll an. Als diese hörbar schmatzte, zuckte es erschrocken zusammen. So unruhig, wie sich Ciaras
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