Cinderella auf Sylt - Bieling, E: Cinderella auf Sylt
von Nordost auf. Dicke Wolken schoben sich ineinander und verdunkelten den sommerlichen Herbsttag.
»Ich friere«, meinte Tommy bibbernd.
Moritz wirkte ebenso unterkühlt, beschwerte sich jedoch nicht.
»Hat wer Lust auf Pfannkuchen?«, fragte Cinderella.
»Ich bin satt, danke«, sagte Moritz.
»Ich auch«, schloss Tommy sich an.
»Okay. Dann gibt’s für euch nur einen Tee daheim.« Schulterzuckend lief Cinderella zurück zum Gezeitenschild. Moritz folgte mit Tommy an seiner Hand.
»Wie lange dauert es, bis man sechs Meter lange Haare hat?« Mit neugierig blitzenden Augen lugte Tommy aus seiner Bettdecke heraus. Moritz ließ ein verzweifeltes »Hm, ja« vernehmen und drehte sich hilfesuchend zu Cinderella, die am Türrahmen hockte.
»Keine Ahnung. Ist das wichtig?«, erwiderte sie.
»Ja!« Tommy grinste.
»Ich denke, dass Rapunzel dreiundfünfzig Jahre gewartet hat.«
Moritz gluckste. »Dreiundfünfzig?«
»Ja, ihr zwei Schlaumeier. Mit dem richtigen Shampoo und ohne Föhn, könnte es hinkommen.«
»Wieso ohne Föhn?«, fragte Moritz nach.
Cinderella kicherte in sich hinein. »O Mann! Jeder weiß doch, wie schädlich heiße Luft für Haare ist.«
»Und du denkst, dass Rapunzel das gewusst hat?«
»Nein, natürlich nicht! Aber sie konnte keinen Föhn benutzen.«
»Aha! Und weshalb nicht?«, bohrte Moritz weiter.
Cinderella warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Was denkst du denn, warum sie keinen benutzen konnte?«
»Weil es keine gibt im Märchenland?«, antwortete er fragend.
»Blödsinn!«
Tommy feixte aus seiner Decke heraus. »Der Föhnladen war zu weit weg.«
»Auch nicht richtig.« Cinderella lachte. »Im Turm von Rapunzel gab es keine Steckdosen.«
»Und wieso?«, wollte Tommy wissen.
Moritz klappte das Buch in seinen Händen zusammen und blickte Cinderella gespannt an. »Das interessiert mich Architekturstudenten jetzt aber auch.«
»Na, weil die Wände des Turmes rund waren und Steckdosen nun mal nur auf geraden Wänden eingebaut werden können.«
Tommy starrte zu Moritz. »Stimmt das?«
»Tja, was soll ich sagen? Ein Argument, das nicht von der Hand zu weisen ist.«
»Die Mama hat’s gewusst«, freute sich Tommy.
»Nun ja, das hat sie. Aber weshalb ist das Haar von Rapunzel nicht ergraut oder ausgefallen, wenn sie doch schon über dreiundfünfzig war?«
»Gute Vererbung halt«, meinte Cinderella.
»Und keine Falten?«
»Nein!«
»Nicht mal Altersflecke?«
»Auch die nicht.«
Moritz kapitulierte und las weiter. Nur hin und wieder schüttelte er fassungslos seinen Kopf.
Im Zimmer war es frisch geworden. Cinderella hüllte sich in ihre Decke und rutschte zur linken Ecke des Sofas. Die rechte Seite ließ sie für Moritz frei. Leise vor sich hin pfeifend rührte er den Eintopf vom Vortag um. Ein Gemüse-Kartoffel-Gericht, das Cinderellas Großmutter erfunden hatte. »Preußentopf« hatte sie ihn genannt und die Zutaten stets wie einen Goldbarren gehütet. »Und?«, fragte Cinderella.
Moritz kostete vom Holzlöffel. »Hm, heiß«, zischte er mit vorgehaltener Hand. »Ich glaube, er ist noch besser als gestern. Hier probier.«
Sie lachte. »Nicht nötig. Ich weiß, gut durchgezogen ist dieser Eintopf unschlagbar.«
»Was ist da drin? Schmeckt irgendwie nach Muskat und Tomatenwürze.«
»Netter Versuch, Herr Weberknecht«, neckte sie ihn. »Du weißt doch, dass ich …«
»Sorry, ich vergaß«, fiel er ins Wort. »Ein Geheimrezept von Oma Trautchen.« Er drehte sich um und verneigte sich. »Mögen Madame einen extra Teller?«
Cinderella lächelte. »Ach was, einer ist ausreichend.«
Moritz bestückte den Tellerrand mit Pfirsichstreifen und setzte sich neben sie. »Ist dir warm geworden?« Seine Hand tastete unter ihre Decke.
»Ein bisschen.«
»Okay. Dann bleib in deinem Kokon.« Lächelnd führte er den Löffel zu ihren Lippen. »Mund auf«, leitete er sie an. Cinderella folgte seinen Worten und küsste ihn auf die Wange.
»Ich habe mir überlegt …«, erklärte sie schmatzend, »… dir einen Schlüssel zu geben.«
»Für dein Apartment?«
»Ja, wieso nicht? Ich meine, wo du doch sowieso fast täglich hier bist.«
»Ich weiß nicht«, stammelte er überrascht.
»Dann könntest du Tommy abholen und hier mit ihm spielen. Egal, wann ich Feierabend habe«, versuchte sie ihn zu überzeugen.
Moritz rührte ausweichend mit seinem Löffel im Eintopf herum. »Hast du einen passenden Reißverschluss bekommen?«
Cinderella blickte zum Sonderauftrag, der auf
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