Cinderella undercover
strahlendstes Lächeln, als er einen doppelten Espresso orderte. »Ich mach ihn auch extra stark für dich, damit du nachher die anstrengenden Proben durchhältst. Läuft es denn ganz gut bis jetzt? Ist ja gar nicht mehr so lange hin bis zum CLC-Festival.« Daniel starrte mich an, als hätte er eine Erscheinung. Auch Felicia hörte auf, an ihrer Haarsträhne herumzumachen, und der andere Typ musterte mich, als sehe er mich zum ersten Mal.
Tja, Leute, Zeit, mich endlich zur Kenntnis zu nehmen!!!
Dann drehte ich dem Tisch den Rücken zu und stolzierte hüftschwingend davon. Wozu hatte ich schließlich zusammen mit Paule diverse Salsa-Workshops besucht?
Als ich ein paar Minuten später zurückkam und Luc den Espresso servierte, beugte ich mich absichtlich besonders weit nach vorne. Da ich heute einen eng anliegenden Pulli mit V-Ausschnitt trug, blieb diese Bewegung nicht ohne Wirkung: Daniel fielen fast die Augen aus dem Kopf, sein Freund bekam einen Hustenanfall und Luc? Luc lud mich zu einer Probe ein. »Wir starten Freitagnachmittag unseren ersten Gesamtdurchlauf. Komm doch vorbei, wenn du Lust hast, und schau zu, ich würde mich freuen!«
»Mal sehen«, antwortete ich, »ob ich es einrichten kann. Momentan bin ich nämlich ziemlich busy!« Dazu versuchte ich, ein bisschen gelangweilt dreinzuschauen. Felicia stand kurz vor einem Kollaps. »Ich geh mal einen Moment an die frische Luft«, informierte sie uns, was aber dummerweise niemanden interessierte. Falls sie auf ein besorgtes »Geht’s dir nicht gut?« gehofft hatte, hatte sie eindeutig Pech gehabt. Denn der unbekannte Typ – Lucs Regie-Assistent Ben, wie sich dann herausstellte – war ebenfalls damit beschäftigt, mich zum Kommen zu überreden. Und gleichzeitig drängte Daniel darauf, endlich einen Termin mit mir abzumachen, um sich meine Arbeiten anzuschauen. Währenddessen stakste Felicia mit demonstrativ zur Schau getragener Leidensmiene vor dem Fenster auf und ab, aber die Einzige, die davon Notiz nahm, war ich.
Danach arbeitete ich mit dem überwältigenden Gefühl des Triumphs im Bauch weiter, bis die drei sich verabschiedeten. Felicia zog es vor, draußen zu bleiben, sodass Daniel gezwungen war, ihre Rechnung zu übernehmen. Und weil ich gerade so extrem gute Laune hatte, fielen mir während des Servierens lauter neue Motive für die Free-your-mind-Kampagne ein: Ich nahm mir vor, die simplen Motive zu einem ganzen Bild zu erweitern und anstatt zu sprayen, Bilder zu malen, die ich mithilfe von Kleister an die Wand kleben wollte.
Der Bauzaun in unserem Viertel war von der Szene bislang wie durch ein Wunder unbemerkt geblieben und damit das ideale Terrain für mich. Jetzt musste ich mich nur noch in die Kunst der Herstellung von Plakaten einarbeiten, bevor Teil zwei der Reise in die Welt von Street-Art beginnen konnte.
Als ich zu Hause war, begann ich, im Netz nach Informationen über Plakat-Aktionen zu forschen, denn natürlich stand in meinen Kunstbüchern nichts darüber, wie so etwas richtig gemacht wurde.
Und tatsächlich – irgendjemand hatte seine Aufzeichnungen anonym auf die Website einer Vereinigung von Graffiti-Künstlern gestellt. Der- oder diejenige schrieb dazu Folgendes:
Wenn Street-Art-Künstler plakatieren gehen, heißt das, dass sie zu Hause aufwendige Bilder auf Papier vorbereiten. Diese von Hand gemalten Kunstwerke befestigen sie draußen, an zuvor ausgewählten Stellen, mit Tapetenleim. Dazu verwendet man besonders stark klebenden Leim (gibt es im Baumarkt) und extra dünnes Papier. Dünnes Papier hat den Vorteil, dass man die Bilder schlecht von der Wand lösen kann. Im Gegensatz dazu kann man bei dickerem Papier (Kopierpapier) das Motiv auch oft in einem Stück wieder ablösen. Wenn die Wand Witterungsbedingungen ausgesetzt ist und der Kleber nicht so gut hält, hängen die Bilder oft schon nach wenigen Tagen herunter. Ich habe es auch schon erlebt, dass am nächsten Tag, wenn ich ein Foto machen wollte, mein Kunstwerk weg war.
An anderen Stellen hielten die Bilder dafür sogar jahrelang…
Okay, das war doch schon mal sehr aufschlussreich. Papier lag hier wegen des Druckers massenweise herum und auch vom Tapetenkleister musste noch einiges übrig sein. Stephanie war erst vor zwei Wochen auf die Idee gekommen, eine Wand des Schlafzimmers mit einer Schmucktapete zu verzieren, die sie in einer Wohnzeitschrift entdeckt hatte.
Ein wenig mulmig wurde mir allerdings, als ich beim Googeln des Begriffs Wildplakatierung
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