Circulus Finalis - Der letzte Kreis
nächsten Tag, es war ein Samstag, mein Dienst begann, war ich erleichtert und froh, etwas zu tun zu haben. Durch das Tor trat ich auf den Hof, spürte, dass ich mich hier zu einem gewissen Teil zu Hause fühlte, und nahm mir fest vor, die Dinge, die mich belasteten, auszuräumen und wieder dorthin zu gelangen, wo ich gewesen war.
Mehr wollte ich gar nicht.
Einen ersten Dämpfer erhielt diese Entschlossenheit, als ich sah, dass Natalia uns, Borsberger und mir, für die Tagschicht als Praktikantin zugeteilt worden war. Unsere Beziehung war ebenso unbestimmt wie uneingestanden problematisch, zudem nach wie vor nicht öffentlich, und die Vorstellung, die nächsten zwölf Stunden mit ihr zusammenzuarbeiten, begeisterte mich nicht.
Es blieb nicht bei dieser einen ungebetenen Überraschung: Gegen halb zehn trat Marie ein, mit großer Selbstverständlichkeit, muss doch mal nach euch schauen , Frühstücksbrötchen unter dem Arm, so als käme sie jede Woche zu Besuch. Keine Ahnung, was sie hertrieb; vielleicht wollte sie mir einfach deutlich machen, dass mit ihr jederzeit und überall zu rechnen sei, auch wenn unsere Geschichte schon lange zu Ende war. Vielleicht hatte sie aber auf verschlungenen Wegen auch von meiner Liaison gehört, und die Neugier trieb sie her.
Jedenfalls unterhielt sie sich in erster Linie mit Natalia, zog Vergleiche zwischen der Schauspielerei und der hohen Kunst der Medizin , stellte Fragen, jede nur ein Sprungbrett zu neuen Höhen der Selbstinszenierung. Marie, die Verständnisvolle, Marie, die gute Freundin, Marie, die erfolgreiche Ratgeberin. Es war eine derart durchsichtige und eingleisige Art der Kommunikation, und doch hatte ich den Eindruck, dass Natalia sie nicht durchschaute. Vielleicht lag es daran, dass ihr die feinen Spitzen in der fremden Sprache entgingen. Borsberger sagte wenig, sah nur zwischen uns dreien hin und her, und hörte bald so wie ich, was eigentlich vorhersehbar gewesen war – „wir sollten mal etwas zu dritt unternehmen, unbedingt, das wäre toll.“
In diesem Augenblick erschien Lambertus in der Tür, und erklärte uns, dass gerade ein lukrativer Auftrag für die Verlegung eines labilen Patienten aus Dänemark in die heimische Psychiatrie eingegangen sei, er aber nicht wisse, wie er die Fahrt besetzen solle. Ich erklärte mich bereit, zu fahren, wenn jemand meinen kürzeren und vor allen Dingen aufteilbaren Dienst auf der Wache übernähme. Lambertus zog die Brauen hoch, wippte kurz unschlüssig auf und ab, sagte, er komme vielleicht auf mein Angebot zurück, und verschwand dann. Ich atmete durch. Marie tat auf ihre halb lustige Art kund, ich müsse aber jetzt ihretwegen nicht flüchten. Ich überreagierte etwas, weil sie ja nicht ganz Unrecht hatte – schwer zu glauben, aber es dreht sich nicht alles immer um dich – fühlte mich aber ganz wohl dabei. Natalia sah mich vorwurfsvoll an. Zwar hatten wir vereinbart, uns auf der Wache weitgehend voneinander fernzuhalten, aber sie war nicht damit einverstanden, dass ich mich ihr auf diese Weise entzog. „Du lässt mich im Stich“, zischte sie mir leise zu, jede Silbe einzeln betont, eine unklare Mischung aus spielerischem und ernsthaftem Vorwurf.
Lambertus kam zurück, um mir mitzuteilen, dass Ersatz für meine Schicht gefunden war, und dass ich stattdessen die Fernfahrt mit Schlager durchführen sollte. Da zeichnete sich eine gute Gelegenheit ab, in Ruhe mit ihm zu sprechen, und ihn davon zu überzeugen, dass ich nach einem Weg suchte, den Circulus Finalis aufzulösen. Doch Lambertus zeigte sich ein drittes Mal und brachte neue Nachrichten: Aufgrund der Länge der Fahrt habe er entschieden, einen dritten Kollegen mitzuschicken. Dommel hatte sich bereiterklärt und sollte in einer halben Stunde hier sein. Unwillkürlich seufzte ich, und Natalia schickte mir einen schadenfrohen Blick hinterher.
Doch es kam anders. Schlager, schweigsam und düster wie üblich, hatte die Route nachgeschlagen und die Ausstattung des Krankenwagens überprüft, während ich Luftdruck und Ölstand kontrollierte. Dommel traf ein; seit unserer letzten Begegnung hatte er sich einen schütteren Bart wachsen lassen, dessen Länge den Mangel an Dichte nicht ausgleichen konnte. Er begrüßte uns lautstark mit der Drohung, jetzt seien wir ja zumindest für eine Skatrunde ausreichend, und ging Schlager zur Hand, der gerade im Patientenraum Fenster und Einrichtung flüchtig abwischte, während ich vorne eine neue Scheibe in den Fahrtenschreiber
Weitere Kostenlose Bücher