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Circus

Circus

Titel: Circus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alistair MacLean
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schrecklich leid, Maria.« Sein Blick fiel auf ihren Verlobungsring, glitt aber sofort weiter. »Aber woher wissen Sie es?«
    »Ich weiß es nicht. Ich wußte es einfach.« Sie drückte ein Taschentuch gegen die Augen. »Doch, ich weiß, woher ich es weiß: Ich hörte, daß er abgestürzt war. Aber ich lief nicht hin, weil ich … ich hatte einfach zuviel Angst vor dem Anblick, der mich vielleicht erwartete. Ich war sicher, daß er nach mir fragen oder nach mir schicken würde, wenn es ihm nicht allzuschlecht ging. Aber es kam mich niemand holen.«
    In verständlicherweise gequältem Schweigen und in beträchtlicher Hast gossen die drei Männer ihre Drinks hinunter und flohen aus dem Raum. Harper, der als letzter ging, wandte sich an der Tür noch einmal um und sagte: »Ich muß ein paar Instrumente holen. Ich bin in zwei Minuten wieder da.«
    Dann zog er die Tür hinter sich zu. Maria wartete ein paar Sekunden, dann stand sie auf, spähte durch das Fenster nach draußen, öffnete die Tür und schaute vorsichtig nach beiden Seiten: Es war niemand zu sehen. Sie machte die Tür wieder zu, sperrte sie ab, kehrte an ihren Schreibtisch zurück, nahm eine Tube aus einer Schublade, schraubte die Kappe ab, drückte etwas Glyzerin heraus, rieb sich etwas davon in die Augen und verteilte den Rest auf ihren Wangen. Dann schloß sie die Tür wieder auf.
    Dr. Harper kam wirklich nach zwei Minuten zurück. Er hatte einen Koffer bei sich. Er goß sich noch einen Wodka ein und vermied es ängstlich, Maria ins Gesicht zu schauen. Schließlich räusperte er sich, als wisse er nicht recht, wie er anfangen sollte, und sagte entschuldigend: »Ich weiß, daß Sie mir das nie vergeben werden, aber es ging nicht anders. Ich wußte schließlich nicht, wie groß Ihre schauspielerischen Fähigkeiten sind. Und in der Tat ist es nicht weit her damit, fürchte ich, Ihre wahren Gefühle neigen dazu, durchzuschimmern.«
    »Meine Gefühle neigen … Sie wissen, daß Bruno und ich …« Sie brach ab und fragte dann sehr langsam: »Wovon um alles in der Welt sprechen Sie?«
    Er lächelte etwas unsicher: »Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen.«
    Ihre Augen weiteten sich: »Meinen Sie …«
    »Ich meine, daß Sie mitkommen sollen.«
    Bruno schlug das Tuch zurück, das über ihn gebreitet worden war, setzte sich in seinem Sarg auf und sah Harper vorwurfsvoll an: »Na, abgehetzt haben Sie sich ja nicht gerade, was? Wie würde es Ihnen gefallen, in einem Sarg zu liegen und darauf zu warten, daß ein eifriger Lehrling auftaucht und den Deckel zunagelt?«
    Maria ersparte Harper die Antwort. Als Bruno sich schließlich aus ihrer Umarmung befreit hatte, stieg er mit steifen Gliedern aus dem Sarg, griff hinein und hielt einen tropfenden Leinenbeutel hoch. »Außerdem bin ich klitschnaß!«
    »Was ist denn das?« fragte Maria entgeistert.
    »Ein kleines Tricksäckchen, meine Liebe.« Harper sah sie mit einem reumütigen Lächeln an. »Ein Eisbeutel. Er war nötig, um Brunos Stirn die erforderliche Temperatur zu geben. Unglücklicherweise hat Eis die Eigenschaft zu schmelzen.« Harper legte seinen Koffer auf den Sarg und klappte den Deckel hoch. »Und leider müssen wir Bruno jetzt noch mehr Leid zufügen – wir müssen ihn ein bißchen verunstalten.«
    Man konnte nicht sagen, daß Harper seinen Beruf verfehlt hatte, aber ganz sicher hätte er auch als Maskenbildner mehr als nur sein tägliches Brot verdient. Die ganze Prozedur dauerte zwanzig Minuten. Harper arbeitete schnell und geschickt und mit offensichtlicher Begeisterung. Als er fertig war, sah Bruno sich in einem mannshohen Spiegel an und zuckte zusammen: Die hellbraune Perücke war lang und verfilzt, der hellbraune Schnauzbart ungepflegt und die eindrucksvolle halbrunde Narbe, die von seinem rechten Augenwinkel bis fast zu seiner Nase reichte, vermittelte überzeugend den Eindruck, von der Begegnung mit einer zerbrochenen Flasche herzurühren. Gekleidet war er in ein blau-weiß gestreiftes Hemd, eine rote Krawatte, einen hellbraunen Anzug mit senkrechten roten Streifen, senffarbene Socken und Schuhe von der gleichen dezenten Farbe. Und die Ringe an seinen Fingern schienen entweder vom Jahrmarkt oder aus einem Kaugummiautomaten zu stammen.
    »Ein bißchen verunstalten, sagt der Mann doch glatt! Ich könnte jederzeit mein Geld als Vogelscheuche verdienen!« Er warf einen warnenden Blick zu Maria hinüber, deren Hand zwar ihren Mund bedeckte, aber nicht die Lachfältchen um ihre Augen verbergen konnte.

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