Circus
Dann wandte er sich wieder an Harper: »Und dieser Aufzug soll mich unauffällig machen?«
»Sie haben es erfaßt. In dieser Verkleidung sind Sie derart auffällig, daß kein Mensch einen zweiten Blick an Sie verschwenden wird – abgesehen von denjenigen natürlich, die einen zweiten Blick wagen, weil sie glauben, beim erstenmal nicht richtig gesehen zu haben. Es ist der anonyme, mausgraue Mann, der sich in Seitengäßchen herumdrückt, der Mißtrauen erweckt. Sie heißen Jon Neuhaus, kommen aus Ostdeutschland und sind Reisender in Werkzeugen. Der Paß und die übrigen Papiere stecken in der Innentasche des Jacketts.«
Bruno zog seinen Paß heraus, ein seriös aussehendes Dokument, das die Tatsache belegte, daß seine Handelsreisen ihn praktisch in jedes Land jenseits des Eisernen Vorhangs geführt hatten, in manche von ihnen sogar mehrmals. Er sah sich das Paßbild an und musterte sich dann noch einmal selbst im Spiegel: Die Ähnlichkeit war bemerkenswert.
»Das muß eine ganze Menge Zeit gekostet haben. Wo ist das Ding gemacht worden?«
»In den Staaten.«
»Sie haben es schon die ganze Zeit bei sich gehabt?« Harper nickte. »Dann hätten Sie es mir eigentlich schon ein bißchen früher zeigen können – damit ich Zeit gehabt hätte, mich daran zu gewöhnen.«
»Wahrscheinlich hätten Sie dann nicht mitgemacht.« Harper warf einen Blick auf seine Uhr. »Der letzte Zug für heute kommt in einer Viertelstunde an. Etwa hundert Meter von hier wartet ein Wagen, der Sie unauffällig zum Bahnhof bringen wird, wo Sie bitte dafür sorgen wollen, aufzufallen – Sie sind gerade aus dem Zug gestiegen. Dieser Koffer enthält alle Kleidungsstücke und Toilettensachen, die Sie brauchen. Der gleiche Wagen wird Sie dann auch zu dem Hotel bringen, in dem Sie bereits vor zwei Wochen ein Zimmer bestellt haben.«
»Sie haben das alles arrangiert?«
»Ja. Genauer gesagt, einer unserer Agenten hat es getan. Unser Mann in Crau, wie es so schön heißt. Unbezahlbar! Er kann in dieser Stadt alles bewerkstelligen – allerdings ist das auch nicht weiter verwunderlich, denn er ist ein hohes Tier im Stadtrat. Und einer seiner Männer wird heute abend am Steuer Ihres Transportfahrzeuges sitzen.«
Bruno sah ihn nachdenklich an. »Sie denken wirklich an alles, was, Doktor?«
»Ja, und deshalb lebe ich noch.« Harper seufzte. »Wenn Sie den größten Teil Ihres Erwachsenenlebens in einem Beruf wie meinem gesteckt haben, dann lernen Sie mit der Zeit, daß der Sicherheitsfaktor um so größer wird, je weniger Leute über eine Sache Bescheid wissen. Maria wird morgen früh einen Wagen mieten. Zwei Blocks westlich von hier liegt ein Gasthaus namens ›Jagdhorn‹. Seien Sie bei Anbruch der Dämmerung dort. Maria wird kurz nach Ihnen dort eintreffen. Sie wird den Kopf zur Tür hineinstecken und wieder verschwinden. Sie werden ihr folgen. Sie haben eine einzigartige Fähigkeit zu spüren, wenn Sie beschattet werden – in dieser Hinsicht brauche ich mir also keine Sorgen zu machen. Jede Änderung des Planes oder weitere Informationen werden Ihnen von Maria mitgeteilt.«
»Sagten Sie nicht, Ihr Mann in Crau könne alles bewerkstelligen?«
»Ja, das sagte ich.«
»Dann lassen Sie ein paar Stangen Sprengstoff von ihm beschaffen. Mir ist jedes Material recht, solange es eine Zehn-Sekunden-Zündschnur hat. Kann er so was beschaffen?«
Harper zögerte. »Ich nehme es an. Wofür wollen Sie das Zeug haben?«
»Das werde ich Ihnen erst in ein paar Tagen erklären, aber nicht, weil ich mich rächen und zur Abwechslung mal Sie auf die Folter spannen will. Ich bin selbst nicht ganz sicher, aber ich könnte mir vorstellen, daß der Sprengstoff mir beim Verlassen der ›Lubylan‹ von großem Nutzen sein könnte.«
»Bruno!« Marias Gesicht war wieder voller Angst, aber Bruno sah sie nicht an.
»Ich glaube, es gibt eine Chance, unentdeckt hineinzukommen, aber ich halte es für ausgeschlossen, auch unentdeckt wieder herauszukommen. Es wäre immerhin möglich, daß ich in großer Eile verschwinden muß, und wenn erst mal Alarm gegeben ist, dann sind die Ausgänge bestimmt sofort ausbruchssicher verschlossen. Also wird es vielleicht das beste sein, wenn ich mir den Weg nach draußen freisprenge.«
»Liefe diese Lösung nicht Ihrer pazifistischen Gesinnung zuwider?«
»Ich werde so vorsichtig sein wie möglich, aber auch ein Pazifist ist nicht scharf darauf, vor der Zeit zu sterben. Bekomme ich nun die Knallfrösche oder nicht?«
»Sie
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