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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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lehnte angewidert ab.
    »Die Fahrt der Destiny«, sagte sie stattdessen, während sie eine kleine Inschrift auf dem Bilderrahmen las. »Ein ungewöhnliches Motiv in einem Heim für Findelkinder, nicht wahr?«
    »Keineswegs«, sagte der Vorsteher, nahm sich ein großes Stück Ingwer und ging wieder zu seinem Schreibtisch. Er zog ein Dokument aus einem ganzen Stoß von Papieren und machte sich daran, mit einem Federkiel die nötigen Einzelheiten einzutragen. »Es gab einmal eine Zeit, da gingen viele unserer Jungen zur See. Einige von ihnen heuerten sogar auf der Destiny an.«
    »Ach, tatsächlich?« Madame Orrery sah ihn eine Weile durchdringend an, dann wandte sie sich ab, um die anderen Dinge im Raum zu betrachten: ein Fernglas auf einem Tischchen, das spiralige Gehäuse eines Kopffüßers in einem Regal und ein Segelschiffmodell, das über den Schreibtisch kreuzte. Schließlich blieb ihr Blick an einer Reihe von Schränken hängen, die an der Wand standen. Sie waren in lauter schmale Schubladen unterteilt, von denen eine einen Spalt offen stand und ein Wirrwarr an Gegenständen sichtbar machte.
    »Sagen Sie doch bitte, Mr Chalfont«, sagte sie und ging näher heran, »was bewahren Sie in diesen Schubladen auf?«
    Pandora umklammerte das Stoffstück in ihrer Tasche fester und betete, dass der Vorsteher ihren Diebstahl nicht entdecken möge. Sie wusste genau, was in diesen Schubladen war: Hunderte wertloser Dinge, von denen jedes einzelne in Verbindung mit einem der Kinder stand.
    »Persönliche Erkennungsstücke«, antwortete Mr Chalfont. »Knöpfe, Ringe, gefaltete Zettel. Was die armen Mütter eben so bei sich haben, wenn sie ihre Kinder hier abliefern. Ein Gegenstand, mit dem sie sie später identifizieren können.«
    Interessiert sah die Frau auf. »Und es gibt für jedes Kind ein solches Erkennungsstück?«, fragte sie.
    »Aber gewiss. Das ist eine Bedingung des Heims.«
    Mr Chalfont legte seine Feder zur Seite. »Die meisten der Mütter sind Dienstmädchen oder junge Frauen, die ins Unglück geraten sind, bevor sie zu uns kommen«, erklärte er. »Die Gegenstände, die sie hier lassen, sind normalerweise Dinge von persönlicher Bedeutung, doch von geringem Wert. Ein Andenken für das Kind an seine Mutter, das ist alles. Wir tragen jedes der Stücke hier ein« – er deutete auf das Buch vor ihm auf dem Tisch –, »in der Hoffnung, die eine oder andere Frau könnte eines Tages vielleicht in der Lage sein, es abzuholen. Ihr Kind, meine ich, nicht das Erkennungszeichen.« Er strich sich über die Nase und schaute in die Ferne. »Doch das kommt leider selten vor.«
    Madame Orrery öffnete eine der Schubladen und kramte darin herum. »Wie … tragisch«, sagte sie und wischte sich schließlich die Finger an ihrem Kleid ab.
    »Und was genau ist nun Ihr Gewerbe, Madame Orrery?«, fragte der Vorsteher nach einer Weile und tauchte die Feder ins Tintenfass.
    Sie drehte sich zu ihm um. »Ich beschäftige mich mit der Lehre des Mesmerismus«, sagte sie. »Ich heile Körper und Seele. Es handelt sich dabei um eine Form von animalischem Magnetismus.«
    Mr Chalfont runzelte die Stirn. »Ich fürchte, mit diesem speziellen Zweig der Naturphilosophie bin ich nicht vertraut«, sagte er.
    Madame Orrery lächelte und trat vor das Porträt der toten Gattin des Heimvorstehers. Sie strich mit den Fingern über das Bild. »Ich befreie den Körper von seinen physischen Schmerzen und den Geist von seinen inneren Nöten«, sagte sie. »Ich heile den Geist von schmerzlichen Erinnerungen.« Nachdenklich betrachtete sie ihn. »Eine einzige meiner Sitzungen, Mr Chalfont, könnte lindern, was auch immer Ihnen Kummer bereitet.«
    Mr Chalfont stand auf und räusperte sich. »Das wird nicht nötig sein, dennoch vielen Dank, Madame Orrery«, sagte er, und seine Wangen überzogen sich mit leichter Röte. »Wenn Sie nun so freundlich sein möchten.« Er deutete auf das Formular auf dem Tisch. »Wir brauchen nur noch Ihre Unterschrift, dann gehört das Mädchen Ihnen.«
    Pandora spürte, wie ihre Brust sich zusammenschnürte. In ihrer Kehle drängten sich hundert Wörter gleichzeitig, jedes einzelne ein Flehen an den Vorsteher, sie nicht gehen zu lassen, doch der Mann lächelte nur, als er ihre Verzweiflung sah. Tatenlos musste Pandora zusehen, wie die Frau sich an den Tisch setzte und in einer lückenlos fortlaufenden Tintenschnur ihren Namen auf das Papier schrieb.
    »Sehr gut«, sagte Mr Chalfont und klopfte Pandora auf die Schulter. »Kind

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