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Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab

Titel: Cirrus Flux - Der Junge, den es nicht gab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Skelton
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kennst den Jungen, von dem ich spreche?« Er bemerkte ihren verstörten Ausdruck.
    Sie blieb stumm.
    »Bitte!«, drängte der Mann. »Ich muss ihn unbedingt finden!«
    Endlich fand sie ihre Stimme wieder.
    »Wer sind Sie?«, sagte sie. »Warum sollte ich Ihnen trauen?«
    Der Mann überlegte einen Augenblick, dann löste er etwas von seinem Hals. Er hielt es gegen die Glasscheibe. Pandora betrachtete es im Licht des hell leuchtenden Vogels über ihr: Es war eine kleine Messingplakette mit einem eingravierten Lamm. Nr. 16 stand darauf.
    Ihr Herz klopfte schneller. Der Mann war ein Findelkind wie sie selbst. Und der niedrigen Nummer nach war er sogar eines der ersten!
    Neugierig sah sie ihn an.
    »Bitte«, sagte der Fremde. »Der Junge ist nicht sicher, so allein. Noch dazu jetzt, wo diese schreckliche Frau nach ihm sucht …«
    Mit ›schrecklich‹ meinte er wahrscheinlich Madame Orrery, dachte Pandora und sah sich nervös um. Und im selben Augenblick hörte sie von unten im Haus Schritte näher kommen.
    »Da kommt jemand!«, sagte sie und sprang schnell von der Truhe unter dem Fenster.
    Sekunden später waren die Schritte vor der Tür. Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht, und Madame Orrery, eine Kerze in der Hand, schaute herein.
    »Ich dachte, ich hätte dich gehört, Mädchen«, sagte sie. Sie kam ins Zimmer, schloss hinter sich ab und stellte die Kerze neben das Bett. »Was machst du da?«
    Ihr Blick glitt von Pandora zum Fenster, das immer noch ein wenig offen stand. Pandora fuhr herum, aber der Mann war weg, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Sie starrte die Fensterscheibe an.
    Madame Orrery trat ans Fenster.
    »Ah, du wolltest fliehen?«, sagte sie und spähte zur Straße hinunter, die weit unten in der Tiefe lag. »Na, das wäre eine höchst unangenehme Landung.«
    Sie schlug das Fenster zu und drehte sich zu Pandora um.
    »Du bist wirklich ein lästiges Mädchen«, sagte sie und zog dabei die silberne Uhr aus ihrem Kleid. »Es scheint allerdings, als hättest du die Wahrheit gesagt. Der Junge ist wirklich geflohen. Der Vorsteher kann ihn nirgendwo finden.«
    Pandoras Herz raste. Sie wollte den Blick abwenden, aber ihre Augen wurden fast zwanghaft angezogen von dieser Frau, die jetzt mit ihrem Schlüssel die Silberuhr aufzog. Leise fing der kleine Mechanismus darin an zu ticken, und Pandora spürte eine lähmende Leere über sich kommen.
    »Was werden Sie mit mir machen?«, fragte sie, und Angst schwang in ihrer Stimme. »Wie lange muss ich hier oben bleiben?«
    »Du bleibst hier oben, so lange ich es für richtig halte«, sagte Madame Orrery kalt. »Du könntest für immer hier oben bleiben, und keiner würde es merken. Keinen würde es interessieren.«
    Pandora wich zurück und setzte sich auf ihr Bett, benommen, aber doch unfähig, Madame Orrerys Blick auszuweichen. Es fiel ihr schwer, ihre Gedanken zu kontrollieren. Instinktiv griff sie in die Tasche, tastete nach dem Stoffstück, das sie immer bei sich trug, und strich über die gestickten Buchstaben: H-O-F-F-N-U-N-G.
    Madame Orrery war ihre plötzliche Bewegung nicht entgangen.
    »Was hast du da?«, fragte sie und zog das Stoffstück aus Pandoras Tasche.
    »Nicht!«, rief Pandora, aber Madame Orrery hatte es schon auseinandergefaltet und las laut das Wort.
    »Wie nett«, sagte sie, dann dachte sie einen Augenblick nach. »Ist das etwa eins von diesen Erkennungszeichen, die man den Findelkindern hinterlässt?«, fragte sie. »Damit sie glauben, sie werden geliebt?«
    Hilflos nickte Pandora. Sie fühlte sich schläfrig. »Es hat meiner Mutter gehört«, antwortete sie leise.
    Ein boshaftes Glitzern erschien in Madame Orrerys Augen, sie bückte sich und hielt den Stoff an einer Ecke in die Kerzenflamme neben dem Bett.
    Pandora fuhr auf, als hätte sie sich selbst verbrannt.
    »Nein, nicht!«, schrie sie, aber ihre Muskeln gehorchten ihr nicht, und sie konnte nur hilflos mit Armen und Beinen rudern. So musste sie tatenlos zusehen, wie ein kleiner brauner Brandfleck im Stoff entstand.
    »Nein!«, rief Pandora wieder, die ihr Erinnerungsstück jeden Moment in Flammen aufgehen sah. »Bitte nicht! Ich tue alles, was Sie wollen! Ganz bestimmt! Ich werde nie mehr ungehorsam sein!«
    Madame Orrery lächelte künstlich. »Schön, das höre ich gern«, sagte sie kalt und zog endlich den Stoff von der Kerzenflamme zurück.
    Ein unangenehmer Geruch hing in der Luft, und Pandora brach schluchzend auf ihrem Bett zusammen.
    »Du bekommst das Ding zurück, wenn ich

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