City Crime – Vermisst in Florenz
»Was, wenn die Männer heute Nacht wiederkommen?«
Joanna zog die Schultern hoch. Ihr fiel auch kein sicheres Versteck ein. Nicht mal ihr Vater hatte eines gefunden, sonst hätte er die alte, historische Karte nicht in zwölf Teile zerschnitten, über ganz Florenz verteilt und zusätzlich mit einer falschen Wegeinzeichnung so verschlüsselt, dass sie nur in der Kombination mit dem Notizbuch den richtigen Weg wies.
»Trotzdem«, antwortete sie ihrem Bruder müde. »Erst mal nach Hause. Uns wird schon etwas einfallen, wo wir das Notizbuch lassen können.«
Dummerweise hatten sie sich mit den anderen am Haupteingang des Palazzo Pitti verabredet statt hier hinter dem Palast am Rande des Boboli-Gartens. Das bedeutete, sie mussten erst einmal um den gesamten Palast herumgehen. Beinahe sieben Minuten Fußweg!
Francesco und die Artisten hatten sich auf dem Bordstein niedergelassen und warteten treu auf ihre neuen Freunde. Wobei die Treue und die Freundschaft, wenn überhaupt, wohl nur auf Francesco zutraf. Die drei Artisten wichen nur nicht von ihrer Seite, weil sie geduldig wie Raubkatzen auf ihre Beute, ihren Anteil am Schatz warteten.
Andrea informierte sie darüber, was passiert war und was sie für den nächsten Tag geplant hatten. Die Artisten beschlossen, schon jetzt mal beim Neptunbrunnen vorbeizuschauen, dann machten sie einen neuen Treffpunkt für den nächsten Tag aus und verabschiedeten sich.
Der Weg nach Hause in die Via degli Strozzi 24 war kaum weiter als zuvor der um den Palast herum. Nicht mal einen Kilometer, kaum acht Minuten zu gehen. Doch Joanna brannten die Füße, ihre Augenlider fühlten sich schwer und träge an, sie musste gähnen, fühlte sich schmutzig, verschwitzt und klebrig und hatte Durst.
Die meisten Restaurants hatten ihre Küche zwar mittlerweile geschlossen, doch noch immer saßen viele Touristen an den Tischen auf der Straße und tranken Wein oder Espresso. Gern hätte Joanna sich irgendwo ein kühles Mineralwasser bestellt, mit Eiswürfeln und einer Scheibe Zitrone, kalt, prickelnd und erfrischend. Aber sie wusste, dass man für den Preis eines Glases Mineralwasser im Supermarkt mehrere Flaschen bekam.
Es war noch immer sehr warm in der Stadt, schwül und stickig. Joanna bemerkte, dass kein Lüftchen wehte. Ihre Haut fühlte sich an, als ob jemand einen dünnen Film Kleister draufgepinselt hätte. Ihr Weg führte sie die Via Maggio entlang und wieder über den Ponte Vecchio hinweg, wo es Joanna trotz der schwülen Hitze plötzlich fröstelte. Ihre Schritte wurden schneller. Das furchtbare Gefühl des Ausgeliefertseins während der Entführung holte sie ein und trieb sie über die Brücke. Joanna wollte nur noch fort von diesem Ort. Sie begann zu laufen, zu rennen.
»Joanna!«, rief Finn ihr hinterher.
Andrea und Francesco schauten sich um, ob sie etwa schon wieder verfolgt wurden. Doch dann begriffen sie, was Joanna über die Brücke hinwegpeitschte: die pure Angst um ihr Leben, die sie gespürt hatte, während sie verschleppt worden war und die nun wieder hochkam wie ein schlecht verdautes Essen.
Die Jungs hörten auf zu rufen und liefen ihr hinterher.
Trotzdem warf Finn noch einen Blick hinüber zum Eingang des Juweliers, wo das Abenteuer dieser Nacht begonnen hatte. Alles war dunkel und friedlich, als wäre nie etwas geschehen. Dann wandte er seinen Blick ab und lief seiner Schwester nach.
Erst als Joanna die Brücke vollends passiert hatte, verlangsamte sie ihr Tempo und blieb in der Via del’ Tornabuoni kurz stehen, um zu verschnaufen.
Finn holte sie ein, doch Andrea war schon bei ihr und legte zärtlich einen Arm um ihre Schultern. Joanna ließ sich gegen ihn fallen und lehnte ihren Kopf an seinen. Andrea drückte sie fester an sich. Die beiden standen nun da wie eines der Liebespaare im Boboli-Garten, fand Finn. Er hielt deshalb ein wenig Abstand und auch Francesco blieb zurück und ließ die beiden allein.
Andrea und Joanna setzten sich langsam wieder in Bewegung, ohne ihre Umarmung zu lösen. Im Gegenteil: Während Andrea sie mit seiner rechten Hand weiter an sich drückte, umfasste Joanna mit ihrer linken seine Hüfte. Schräg gegeneinandergestellt wie zwei Türme, die sich gegenseitig vor dem Umfallen stützten, schlenderten die beiden voraus bis in die Via degli Strozzi, zur Hausnummer 24, ihrer Haustür.
Sie kehrten zurück in die Wohnung, in der alles so stehen und liegen geblieben war wie zum Zeitpunkt, als sie die Wohnung verlassen hatten: die benutzten
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