City of Lost Souls
skrupellos und eiskalt, Clarissa. Und versuch nicht, mir was anderes zu erzählen.« Dann drehte er sich auf dem Absatz um und stieg die Stufen zu dem Haus mit den blauen Fensterläden hinauf. An der Wand neben dem Eingang schimmerte eine Reihe von Türklingeln, jede mit einem handgeschriebenen Namensschild versehen. Sebastian drückte auf den Knopf neben dem Namen »Magdalena« und wartete.
Nach einer Weile meldete sich eine krächzende Stimme durch die Sprechanlage: »Qui est là?«
»C’est le fils et la fille de Valentin« , sagte Sebastian. »Nous avons rendez-vous?«
Einen Moment lang herrschte Stille, dann brummte der Türöffner. Sebastian hielt die Tür auf, um Clary vorgehen zu lassen. Die Stufen der Holztreppe waren abgewetzt und glatt wie die Planken eines Schiffs. Schweigend stiegen sie hinauf, bis sie das oberste Stockwerk erreichten, wo eine Wohnungstür einen Spalt offen stand. Sebastian trat als Erster ein und Clary folgte ihm.
Sie befanden sich in einem großen luftigen Raum mit weißen Wänden, hellen Vorhängen und glänzendem Parkettboden. Durch eines der Fenster konnte Clary hinunter auf eine Straße mit Restaurants und Boutiquen schauen. Zwar fuhren Autos vorbei, doch das Geräusch der Motoren drang nicht bis in die Wohnung. Weiße Möbel und Polstersofas mit bunten Zierkissen bildeten eine Sitzecke, während eine andere Ecke des Raums als Atelier zu dienen schien: Tageslicht fiel durch ein Dachfenster auf einen großen Holztisch. Dahinter standen mehrere, mit Tüchern verhängte Staffeleien. Ein Kittel, mit bunten Farbspritzern übersät, hing an einem Haken an der Wand.
Neben dem Tisch erwartete sie eine Frau. Auf den ersten Blick schätzte Clary, dass sie ungefähr im selben Alter wie Jocelyn war – aber mehrere Faktoren verschleierten die tatsächliche Anzahl ihrer Lebensjahre. Sie trug einen unförmigen schwarzen Kittel, der ihre Figur verhüllte. Nur ihre weißen Hände sowie Gesicht und Hals waren darunter zu sehen. Auf beiden Wangen prangte jeweils eine dicke schwarze Rune, die sich vom Auge bis zum Mundwinkel erstreckte. Clary hatte solche Runenmale noch nie gesehen, konnte ihre Bedeutung aber erahnen: Macht, Geschick, Kunstfertigkeit. Die Frau besaß dichtes kastanienbraunes Haar, das ihr bis zur Taille ging. Ihre Augen leuchteten in einem matten orangefarbenen Ton, der Clary an eine erlöschende Flamme erinnerte. Und die Hände hielt sie locker verschränkt vor ihrem Schoß.
Mit nervöser, melodischer Stimme bemerkte sie: »Tu dois être Jonathan Morgenstern. Et elle, c’est ta sœur? Je pensais que … «
»Ja, ich bin Jonathan Morgenstern«, bestätigte Sebastian. »Und das hier ist tatsächlich meine Schwester. Clarissa. Bitte sprich Englisch; sie versteht kein Französisch.«
Die Frau räusperte sich. »Mein Englisch ist ein wenig eingerostet. Es ist Jahre her, seit ich es zuletzt gesprochen habe.«
»Mir erscheint es immer noch gut genug. Clarissa, das hier ist Schwester Magdalena. Eine der Eisernen Schwestern.«
Clary war so verwundert, dass sie stotterte: »A-aber … aber ich dachte, die Eisernen Schwestern würden ihre Festung niemals verlassen … «
»Das tun sie auch nicht«, erklärte Sebastian. »Es sei denn, ihre nicht ganz so ehrenhafte Beteiligung am Aufstand wird bekannt. Was glaubst du, wer den Kreis mit Waffen versorgt hat?« Er schenkte Magdalena ein freudloses Lächeln. »Die Eisernen Schwestern sind Schöpferinnen, keine Kriegerinnen. Aber Magdalena ist aus der Festung geflohen, ehe ihre Beteiligung am Aufstand aufgedeckt werden konnte.«
»Fünfzehn Jahre lang hatte ich keinen einzigen Nephilim zu Gesicht bekommen – bis dein Bruder mich kontaktiert hat«, fügte Magdalena hinzu. Es ließ sich nur schwer sagen, wen sie beim Reden anschaute; ihre ausdruckslosen Augen zuckten hin und her, obwohl sie eindeutig nicht blind war. »Und, stimmt es wirklich? Hast du das … Material?«
Sebastian griff in den Beutel, der an seinem Waffengurt hing, und holte einen Gesteinsbrocken hervor, der im ersten Moment an Quarz erinnerte. Vorsichtig legte er ihn auf den großen Tisch und ein Sonnenstrahl, der durch das Dachfenster fiel, ließ den Brocken scheinbar von innen aufleuchten.
Einen Moment lang stockte Clary der Atem: der Adamant aus dem Trödelladen in Prag.
Auch Magdalena sog scharf die Luft ein.
»Reiner Adamant«, verkündete Sebastian. »Bisher von keiner Rune berührt.«
Die Eiserne Schwester trat an den Tisch und legte ihre Finger um den
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